Mobilmachung der Springteufelchen: Schavans Amtsverständnis in eigener Sache

springteufelchen1Der Rücktritt der Annette Schavan ist allenthalben mit Bekundungen des großen Respekts und Bedauerns quittiert worden. Es war wohl unausweichlich – aber war es auch richtig, dass diese unprätentiöse, verdienstvolle Ministerin auf(ge)geben (werden) musste? Die Kanzlerin und Schavan selbst gaben die Tonart vor: Mit ihrem Rücktritt, so erklärte Angela Merkel, stelle Schavan „jetzt in dieser Stunde ihr eigenes, persönliches Wohl hinter das Wohl des ganzen, hinter das Gemeinwohl. Diese Haltung macht Annette Schavan aus.“ [1] Das konnte die Ministerin bestätigen: Ihre Entscheidung zum Rücktritt resultiere „aus genau der Verantwortung, aus der heraus ich mich bemüht habe, mein Amt zu führen“, sagte sie. Die Überzeugung, von der sie sich in der Wahrnehmung dieser Verantwortung habe leiten lassen, fasste sie in die Worte: „Zuerst das Land, dann die Partei und dann ich selbst.“ [1]

Und so verließ sie ihr Amt, wie sie es stets geführt hatte: Als Dienende, der es nie um die eigene Person und stets um die Sache ging. Rührung bemächtigte sich mancher Kommentatoren: So wünschten wir uns die Politiker! Ach, Annette Schavan, musste sie denn wirklich aus dem Amte scheiden?

Ja, warum musste sie? In ihrer Rücktrittserklärung ließ sie keinen Zweifel an ihrer Sicht der Dinge: Die Plagiatsvorwürfe waren anonym erhoben worden, also eigentlich schon dadurch diskreditiert. Die Aberkennung des Doktorgrades werde sie juristisch anfechten, denn sie habe „weder abgeschrieben noch getäuscht.“ Aus diesem Grund trete sie nun zurück, denn:

Wenn eine Forschungsministerin gegen eine Universität klagt, dann ist das mit Belastungen verbunden für mein Amt, für das Ministerium, die Bundesregierung und auch die CDU. Und genau das möchte ich vermeiden, das geht nicht, das Amt darf nicht beschädigt werden. [1]

In dieser Liste der Belasteten fehlt freilich eine Position: Für die Wissenschaft, und ganz gewiss für die Universität, die in einem solchen Rechtsstreit mit einer für die Wissenschaft zuständigen amtierenden Bundesministerin steht, dürfte das gewiss auch mit Belastungen verbunden sein. Das war der Ministerin in ihrer wohldurchdachten Erklärung aber keine Erwähnung wert. Offenbar sah die Ministerin, sieht Annette Schavan in dieser Universität keine Einrichtung mehr, für deren Wohl und Wehe sie eine Mitsorge zu tragen hätte. Statt dessen fällt ihr „auch die CDU“ ein.

Zweifel am Amtsverständnis der stets nur dienenden Ministerin Schavan sind vielleicht doch angezeigt. Und für solche Zweifel lieferte sie schon in den vergangenen Monaten reichlich Anlass. Nur wenigen Kommentatoren scheint das aufgefallen zu sein. In der Westdeutschen Zeitung befand Olaf Steinacker, dass „auch Schavans Verhalten während der gesamten Affäre“ für einen Rücktritt spreche:

Als Beschuldigte hat sie versucht, direkt und indirekt Einfluss auf die Entscheidung der Universität zu nehmen: mit der Drohung, gegen den Entzug der Doktorwürde zu klagen; indem sie die Vorwürfe als Kampagne abtat; weil sie für sich Sonderrechte, sprich weitere Gutachten, einforderte; weil sie der Uni ein Redeverbot verpassen ließ.

Auch die Öffentlichkeit wollte sie beeinflussen – durch die alberne Umdeutung ihrer Fehlleistungen als Flüchtigkeitsfehler. Auch dabei darf man der Noch-Ministerin wohl eine leitende Täuschungsabsicht unterstellen. [2]

Die Ministerin ist gewiss nicht die Einzige, der man in dieser Affäre eine leitende Täuschungsabsicht unterstellen darf.

absatz

Am 2. Mai 2012 wurden die Plagiatsvorwürfe gegen die Doktorarbeit von Annette Schavan auf der Internetseite schavanplag veröffentlicht. Noch am selben Tag bat die Ministerin den Rektor der Universität Düsseldorf um eine Überprüfung der Vorwürfe. Die Fakultät leitete umgehend eine Untersuchung ein. [3] Diese Untersuchung sei sehr aufwendig, man werde viel Zeit brauchen – mehr war aus Düsseldorf in den folgenden Monaten nicht zu erfahren. [4]

Andere waren da sehr viel schneller.

1. Nix Plagiat – Eisbergzitat

Schon am 9. Mai ließen sich der ehemalige DFG-Präsident Wolfgang Frühwald und der frühere Konstanzer Universitätsrektor Gerhard von Graevenitz in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung mit der Einschätzung zitieren, dass es sich bei der Doktorarbeit der Ministerin keineswegs um einen Plagiatsfall handle. [5] Auf welcher Grundlage sie dies festgestellt haben wollten, blieb allerdings undeutlich. Schavan habe lediglich eine Technik der Eisbergzitate praktiziert, wie sie in den Geisteswissenschaften verbreitet und folglich legitim sei, wollte von Graevenitz glauben machen.

2. Das Fachgutachten in der Zeitung

Am 24. Mai veröffentlichten die Berliner Erziehungswissenschaftler Dietrich Benner und Heinz-Elmar Tenorth in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung eine Stellungnahme, die nur als unerbetenes Nebengutachten gelesen werden konnte – ein Vorgang, der eigentlich die Allianz der Wissenschaftsorganisationen und andere Gralshüter guter wissenschaftlicher Praxis sofort auf den Plan hätte rufen müssen. Die Autoren gaben sich alle Mühe, die Handlungsanweisung an den zuständigen Promotionsausschuss recht deutlich zu machen. Nachdem sie die merkwürdige Frage gestellt hatten, ob mit dieser Doktorarbeit „nichts als ein Plagiat abgeliefert worden“ sei, befanden sie:

Letztlich entscheidet das der Promotionsausschuss der Philosophischen Fakultät in Düsseldorf. Wir kommen zu dem Ergebnis, dass die Arbeit kein Plagiat darstellt […]. Öffentlich geäußerte Meinungen wie die, es handele sich bei der Arbeit um geistigen “Diebstahl”, darum sei der verliehene Doktortitel möglichst rasch abzuerkennen, halten einer Überprüfung nicht stand. [6]

In preisverdächtiger gedanklicher Stringenz und mit wolkiger Beredsamkeit machten die beiden Winkelgutachter deutlich, dass gute wissenschaftliche Praxis „in ihren Praktiken nur disziplinspezifisch diskutiert werden“ könne. Es sei eine ganz besondere „Typik“ der Arbeit zu berücksichtigen. Und einem der angeblich Plagiierten habe Schavan ja sogar schon im Vorwort gedankt:

Man erkennt den akademischen Lehrer und kann gar nicht überrascht sein, dass er so intensiv die Argumente der Verfasserin bestimmt [6].

Spätestens an dieser Stelle kommen Amts- und Selbstverständnis der Ministerin ins Spiel. Wollen wir im Rahmen eines – zugegeben – etwas gewagten gedanklichen Experiments einmal annehmen, dass Annette Schavan von diesen öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten der ihr seit langem verbundenen Herren Frühwald, von Graevenitz und Tenorth nichts gewusst hat, dass sie diese Aktivitäten schon gar nicht angeregt hat und erst aus den Pressemeldungen erfuhr, auf welche Weise ihr hier beigesprungen wurde: Hätte sie nicht spätestens jetzt auf kürzestem Wege und ein für alle Mal klarstellen müssen, dass sie bei laufendem Verfahren keinerlei öffentliche Stellungnahmen zu ihren Gunsten wünsche, dass schon jeder Anschein möglicher Beeinflussung der Universität tunlichst vermieden werden müsse?

Man kann sich natürlich auch fragen, wieso sich die Ministerin nicht dagegen zur Wehr gesetzt hat, mit derart ehrenrührig hanebüchenen Argumenten verteidigt zu werden.

Doch es war ihr offenbar recht so.

3. Aufmarsch der Glorreichen Acht: Das Grundsatzpapier

Am 14. Juni – immer noch war aus Düsseldorf nichts Neues zu hören gewesen – bezog die Phalanx der Verteidiger dann in beeindruckender Mannstärke Stellung. Neben den bereits in Erscheinung getretenen Germanisten Wolfgang Frühwald und Gerhard von Graevenitz waren dabei: Der katholische Theologe Ludger Honnefelder, der Physiker Reimar Lüst, der evangelische Theologe Christoph Markschies, der Chemiker Ernst Theodor Rietschel, der Biochemiker Ernst-Ludwig Winnacker und der Rechtswissenschaftler Rüdiger Wolfrum. Allesamt waren sie höchst verdiente und einflussreiche Persönlichkeiten im Wissenschaftsbetrieb, sie hatten

als Präsidenten der Deutschen Forschungsgemeinschaft gewirkt, als Präsident des Europäischen Forschungsrats, als Präsident der Max-Planck-Gesellschaft, als Vorsitzender des Wissenschaftsrats, der Leibniz-Gemeinschaft oder der Alexander-von-Humboldt-Stiftung. [7]

Und allesamt waren diese Wissenschaftsgranden Annette Schavan in der einen oder anderen Weise seit langer Zeit verbunden. Nun sahen sich die Glorreichen Acht zu einer denkwürdig verschwurbelten Grundsatzerklärung aufgerufen, mit der sie einem „Klima des Verdachts und der Bedrohung“ entgegentreten und die Plagiatsjäger in die Schranken weisen wollten: Vertrauen dürfe nicht durch „scheinbare Transparenz“ ersetzt werden. „Lediglich behauptete Verfehlungen“ drohten „durch ständige Wiederholung fixiert“ zu werden, das sei „ein Spektakel, das einer aufgeklärten Gesellschaft nicht würdig ist.“ [7] All das wurde als „Klarstellung durch die Wissenschaft selbst“ präsentiert. [8]

Der Name „Schavan“ taucht in diesem Manifest nicht auf, doch seine ganz spezifische Zwecksetzung steht wohl außer Zweifel: Der Universität Düsseldorf den Weg zu weisen. Dass es den Autoren dieses so grundsätzlichen Grundsatzpapiers tatsächlich um Grundsätze ging, legt sich dagegen nicht unmittelbar nahe: Allzu ausgeprägt ist der Gegensatz zwischen diesen im Juni 2012 entdeckten „Grundsätzen“ (Vertrauen statt „scheinbarer Transparenz“!) und den Regeln guter wissenschaftlicher Praxis, auf deren strikte Einhaltung in den letzten Jahren gerade von den Wissenschaftsorganisationen, an deren Spitze die Autoren standen, immer wieder gepocht worden war. Jetzt ging es ihnen einzig um den Fall Schavan.

Und tatsächlich haben sich mit der einen, einzigen Ausnahme des hochbetagten Reimar Lüst inzwischen alle Unterzeichner dieser Erklärung als vehemente Parteigänger der Ministerin zu erkennen gegeben – Frühwald und von Graevenitz schon zuvor, ihre Mitstreiter in dem Moment, als deutlich wurde, dass die Dinge sich nicht entwickelten wie erwartet.

Der Ministerin jedenfalls war es offenbar nicht unrecht, dass sich das Manifest dieser Großen für sie so insgesamt angenehm und günstig las, und dass dies auch von anderen so gelesen werden konnte, in Düsseldorf zum Beispiel.

4. Nach dem Platzen der Bombe

Zweifellos war Annette Schavan von dem Befund des Düsseldorfer Gutachtens, das ihr eine „leitende Täuschungsabsicht“ zuschrieb, völlig überrascht. Es musste sie momentan besonders erschüttern, dass wesentliche Inhalte dieses Gutachtens vorab den Medien zugespielt worden waren, doch auch ohne diesen Bruch der Vertraulichkeit hätte sie der erhobene Vorwurf im Kern ihres Selbstverständnisses getroffen. Fassungslos waren aber auch ihre getreuen Paladine, die Granden der Wissenschaft. Nun ging es nicht mehr nur um das Herzeigen der mit Allgemeinheiten bestickten Standarten. Nun musste gehauen und gestochen werden, wenn noch etwas zu gewinnen sein sollte.

In einer ersten Reaktion befand Ernst-Ludwig Winnacker, hier würden

Maßstäbe an das wissenschaftliche Referieren angelegt, die völlig sinnentleert sind. Sie vergleichen Sprache wie Gensequenzen in der Biologie. Das finde ich schockierend. [9]

Im Übrigen erklärte er die ganze Sache ohne weitere Umschweife „für eine politische Aktion“. [10]

Wolfgang Frühwald teilte am 15. Oktober abermals mit, Schavan habe „nach bestem Wissen und Gewissen, wie mir scheint, zitiert. Sie hat fast zu viel zitiert.“  Nach der Veröffentlichung des vertraulichen Gutachtens würde jede amerikanische Jury

ein solches Verfahren sofort abbrechen und ein neues Gutachten anfordern, denn der Fakultätsrat, der Promotionsausschuss, also diejenigen, die über dieses Gutachten jetzt zu urteilen haben, können nicht mehr unvoreingenommen urteilen. [11]

Und ja, er glaube, Winnacker habe recht, es sei

sehr viel Politik in diesem, obwohl die Universität sich bemüht, es rein auf wissenschaftlichem Level zu behandeln. [11]

Auch die amtierenden Präsidenten der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Matthias Kleiner, der Alexander-von-Humboldt-Stiftung, Helmut Schwarz, der Helmholtz-Gemeinschaft, Jürgen Mlynek, und der Max-Planck-Gesellschaft, Peter Gruss, stießen nun zur Kerntruppe der Verteidiger, bemängelten schwere Verfahrensfehler und erklärten, durch die Medienberichte über das Gutachten sei bereits eine Vorverurteilung erfolgt. [12, 13, 14] Ein neuer Gutachter, ein unabhängiges Gutachten müsse her, lautete die Forderung der Vertreter der Forschungsfinanzierungsorganisationen, die sich durch ihre Abhängigkeit von den Geldzuweisungen des Ministeriums in ihrem unabhängigen Urteil keinesfalls beeinträchtigt sahen. Mit dem Präsidenten der Berliner Humboldt-Universität, Jan-Hendrik Olbertz, und dem Leiter der Berliner Charité, Karl Max Einhäupl, verstärkten schließlich zwei unmittelbare Interessenten an Schavans Wissenschaftspolitik den Chor um ihre besonders schrillen Stimmen. Olbertz, der sich durch besondere Schnoddrigkeit auszeichnete, meinte gar:

Die Universität sollte im Interesse der Sache und in Anbetracht des bereits entstandenen Schadens das Verfahren in andere, externe Hände abgeben. Ich empfehle ein Gremium unabhängiger Kollegen aus der Wissenschaft. Hierzu könnten die Ombudsleute der großen Forschungseinrichtungen angesprochen werden. [15]

Annette Schavan selbst kündigte an, kämpfen zu wollen: „Das bin ich mir schuldig, und das bin ich der Wissenschaft schuldig“, [16] erklärte die allzeit Bescheidene, und niemand schien sich sonderlich zu wundern. Dass die konzertierten Bemühungen, zu ihren Gunsten in jeder erdenklichen Weise auf das laufende Verfahren der zuständigen Universität einzuwirken, ihr Missfallen erregt hätten, ist nicht überliefert.

5. Ein Fachgutachten in der Zeitung

Hatten wir das nicht schon? Ja doch, das hatten wir schon, im Mai. Diesmal erschien die Stellungnahme von Dietrich Benner und Heinz-Elmar Tenorth in der ZEIT. Inzwischen ging es allerdings darum, dem Düsseldorfer Gutachten entgegenzuwirken. Auch war Dietrich Benner irgendwie abhanden gekommen, er gab nun im Fernsehen skurrile Interviews. An seine Stelle trat der Zürcher Erziehungswissenschaftler Helmut Fend, ein Wechsel in offenbar letzter Minute, was nur notdürftig kaschiert werden konnte. Aber sonst war eigentlich alles wie bereits im Mai gehabt: Annette Schavan hatte nicht plagiiert, es galt die „Typik“ der Arbeit zu beachten und die „Art und Weise, wie Dissertationen in dieser Zeit verfasst wurden und zu einer spezifischen Gattung führten.“ [17] Leider hatte der Düsseldorfer Kollege Stefan Rohrbacher nicht verstanden, wie Dissertationen in dieser Zeit zu einer spezifischen Gattung führten. Er war leider voreingenommen und fand lediglich, was er zu finden erwartete. Er hatte sich völlig verrannt. Die externen, unabhängigen Fachgutachter Tenorth und Benner Fend dagegen kamen nach sorgfältiger Prüfung der Doktorarbeit wie auch des Düsseldorfer Gutachtens, das ihnen auf gar wundersame Weise zugeflogen war, zu folgendem deutlichem Schluss:

Die Zitierfehler und Regelwidrigkeiten kann man selbstverständlich nicht ignorieren, aber man kann sie nicht als starkes Indiz für „leitende Täuschungsabsicht“ deuten, wenn sie nur die Referenzen der wissenschaftlichen Welt zeigen, in der die Autorin ihre Arbeit platziert hat – offen und ehrlich, gelegentlich mit „Regelwidrigkeiten“, immer so, dass man erkennt, wie sie gearbeitet hat, nicht plagiierend, sondern rekonstruktiv und paraphrasierend. Doktortitel werden aus solchen Gründen nicht aberkannt, Täuschungsabsicht ist auf dieser Basis nicht zu unterstellen. [17]

Nun mochte sich der Promotionsausschuss doch noch eines Besseren besinnen. Oder, falls es für den Ausschuss bereits zu spät zur Umkehr sein sollte: Der Fakultätsrat. Die Frage, ob man in Düsseldorf ein weiteres Gutachten einholen sollte, hatte sich im Grunde erledigt, denn dieses Gutachten lag nun vor. Es stand in der Zeitung. Erwartungsgemäß wurde sein Tenor in den folgenden Tagen und Wochen in der öffentlichen Debatte um das Düsseldorfer Verfahren vielfältig aufgegriffen. Das würde an der Universität kaum ignoriert werden können. Eine Besorgnis der unzulässigen Einflussnahme auf ein laufendes Verfahren schien sich hieraus nicht zu ergeben.

Der Ministerin war es offenbar recht so.

6. Die Anhörung

Im November reichte Annette Schavan bei der Fakultät ihre Stellungnahme ein, der sie zwei „erziehungswissenschaftliche Stellungnahmen“ beifügte. [18] Es ist bislang nicht bekannt, wer diese Gutachten verfasst hat. Falls es sich um Gutachten der Erziehungswissenschaftler Benner, Tenorth oder Fend handeln sollte, dann dürfte sich wohl die Frage umso dringender stellen, wie unbeteiligt die Ministerin an den konzertierten Versuchen der Einflussnahme auf das laufende Verfahren seit Mai 2012 gewesen sein kann. Wie noch zu zeigen sein wird, ist es aber durchaus nicht ganz unwahrscheinlich, dass Benner, Tenorth und Fend von der Ministerin für unterstützende Gutachten in Anspruch genommen wurden.

7. Missbrauch für andere Zwecke

Am 12. Dezember beschloss der Düsseldorfer Promotionsausschuss, der Fakultät die Eröffnung des Verfahrens zur Aberkennung des Doktorgrades zu empfehlen. Eine Sitzung des Fakultätsrats war für den 22. Januar 2013 anberaumt. Unterdessen bemühte sich Annette Schavan, von einer Welle der Solidarität getragen, in ihrem CDU-Kreisverband um die Nominierung als Kandidatin für die Bundestagswahl. Am 12. Januar trat sie im Kloster Schöntal vor rund 150 Mandats- und Funktionsträgern der CDU auf und sprach unter großem Applaus wahrhaft Denkwürdiges:

Wissenschaft droht hier für andere Zwecke missbraucht zu werden. Gerade deshalb werde ich mich am 25. Januar nominieren lassen. [19]

Niemand schien Anstoss daran zu nehmen, dass sich die für die Wissenschaft zuständige Ministerin in der Verfolgung ihrer persönlichen politischen Ambitionen dazu hinreißen ließ, einer Universität den Missbrauch der Wissenschaft für andere – politische – Zwecke zu unterstellen. Und niemand schien sich die Frage zu stellen, ob nicht vielmehr die Ministerin soeben im Begriff sei, Wissenschaft für andere Zwecke zu missbrauchen: Für eine Nominierung mit möglichst eindrucksvoller Stimmenzahl nämlich.

8. Ein neues Gutachten und eine Stellungnahme

Am 22. Januar 2013 sollte der Düsseldorfer Fakultätsrat über die Eröffnung des Verfahrens zur Aberkennung des Doktorgrades beschließen. Wenige Tage vor dieser wichtigen Sitzung wurde bekannt, dass der Universität inzwischen ein weiteres Gutachten vorlag. Verfasst hatte es einer der Glorreichen Acht, der Theologe Ludger Honnefelder, und zwar nach wechselnden Auskünften „auf eigene Initiative hin“ oder im Auftrag der Ministerin. „Entwarnung für Annette Schavan“ meldete der FOCUS, denn sie hatte nun doch nicht vorsätzlich getäuscht. Wie Honnefelder feststellte, hatte sich Rohrbacher „vorwiegend an formalen Textvergleichen“ orientiert und dabei versäumt, die bei einer Plagiatsprüfung maßgebliche Frage zu stellen,

nämlich ob die Arbeit einen selbständig erarbeiteten wissenschaftlichen Beitrag erbringt, der die Vergabe des Doktortitels rechtfertigt“ [20].

Dass erneut über ein Gutachten in den Medien berichtet wurde, dass dieser Gutachter sogar selbst bereitwillig Auskunft gab, schien diesmal niemandem einen tadelnswerten Bruch der Vertraulichkeit zu bedeuten. Auch Annette Schavan war es wohl recht so.

Doch Ludger Honnefelder beließ es nicht bei seinem Gutachten, das – wie der FOCUS monierte [20] – von der Universität unter Verschluss gehalten wurde. Er verfaßte auch eine gesonderte Stellungnahme zum Rohrbacher-Gutachten, die er in ihrem vollen Wortlaut durch die ZEIT veröffentlichen ließ. [21] Dieses in mehrfacher Hinsicht bemerkenswerte Dokument überlegener Sachkompetenz verrät gleich zu Anfang, dass sein Autor den Inhalt des Gutachtens, zu dem er dann wortreich und durchaus blasiert Stellung nimmt, nur „den Pressemitteilungen nach“ kennt. Aufschlussreich ist aber vor allem, mit welchem Nachdruck Honnefelder auf das „unabhängige […] Gutachten durch zwei der angesehensten Vertreter der deutschen Erziehungswissenschaften“ verweist, auf eben jenen Zeitungsbeitrag der Herren Benner und Tenorth vom Mai 2012 nämlich, dessen Befund „neuerlich durch den Beitrag der Proff. Tenorth und H. Fend in Die Zeit-Online vom 17.10.2012 bestätigt wurde.“ [21] Honnefelder findet es ganz unbegreiflich, dass Rohrbacher für seine Einschätzung diesen Zeitungsbeitrag gar nicht heranzieht:

Denn dieses Gutachten erfüllt alle Erwartungen, die ein Promotionsausschuss erwarten kann, der Plagiatsvorwürfe zu prüfen hat: Es ist unabhängig erstattet und von der nötigen fachwissenschaftlichen Expertise und Erfahrung getragen. Es beruht auf einer eigenständigen Analyse der im Wesentlichen damals schon bekannten Hinweise auf mögliche Verstöße gegen das Plagiatsverbot und prüft sie an den für die damalige Zeit im Fach Erziehungswissenschaft üblichen formalen Standards. Es stellt die sich dabei zeigenden handwerklichen Defizite und Fehler fest und nimmt auf diesem Hintergrund abschließend zu der maßgeblichen Frage Stellung, ob die Dissertation auch unter Inrechnungstellung der formalen Mängel einen wissenschaftlichen Ertrag erbringt, der die Vergabe eines Doktortitels als Abschluss eines erziehungswissenschaftlichen Studiums rechtfertigt. [21]

Der Promotionsausschuss hatte jämmerlich versagt. Aber noch bestand Hoffnung, der Fakultätsrat würde vielleicht eher wissen, was zu tun war. An fehlenden Fingerzeigen sollte es jedenfalls nicht liegen.

Ob Honnefelder, der zweifellos älteste Vertraute der Annette Schavan unter den Glorreichen Acht, „auf eigene Initiative hin“ oder im Auftrag der Ministerin aktiv wurde, mag dahinstehen. Dass seine Bemühungen und deren Stoßrichtung aber mit der Ministerin in keiner Weise abgestimmt waren, darf als höchst unwahrscheinlich gelten. Damit rückt erneut die Möglichkeit ins Blickfeld, dass der bereits im Mai veröffentlichten Stellungnahme von Benner und Tenorth auch in der Verteidigungsstrategie der Ministerin eine tragende Rolle zugedacht war. An unserem gedanklichen Experiment, um dessentwillen wir einmal annehmen wollten, dass die Winkelgutachterei der Herren Benner und Tenorth nicht von der Ministerin angeregt worden sei, haben wir inzwischen kein rechtes Vergnügen mehr. Jedenfalls hat das Bild der bescheidenen Dulderin, die aus Respekt vor der Wissenschaft monatelang stillhält und in Demut den Lauf des Verfahrens abwartet, entschieden an Überzeugungskraft verloren.

absatz

Dabei können wir es bewenden lassen. Dass die Glorreichen Acht auch in den letzten Wochen immer wieder wie die Springteufelchen aus der Kiste gehüpft sind, war manchmal possierlich anzusehen, aber öfters auch recht langweilig. Selten passierte noch wirklich Neues. Rüdiger Wolfrum in seiner Rolle als Verfahrensgutachter zur See war unterhaltsam. Bescheidener ist schon der Unterhaltungswert von Christoph Markschies: Er hat Schavans Doktorarbeit zweimal gelesen und hätte Plagiate natürlich zweifellos bemerkt, wenn es sie gäbe. Aus welchen (drei) Hauptteilen diese Arbeit besteht, weiß er allerdings auch nach zweimaliger Lektüre noch nicht. [22] Ernst-Ludwig Winnacker eifert inzwischen gegen die

geradezu jakobinisch anmutende Entscheidung der Philosophischen Fakultät der Universität Düsseldorf, Annette Schavan den Doktortitel abzuerkennen. Jakobinisch deshalb, weil auch damals, kurz nach der Französischen Revolution, Menschen in Hetzjagden verfolgt wurden, die dieses nicht verdient hatten. [23]

Dazu ist an anderer Stelle das Nötige gesagt worden. Interessant ist auch die Meldung, dass ein weiterer Glorreicher Achter, Ernst Theodor Rietschel, inzwischen aus Protest gegen das Verfahren aus dem Hochschulrat der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf ausgeschieden ist. [24] Man kann sich unschwer ausmalen, dass es im Düsseldorfer Hochschulrat in den vergangenen Wochen und Monaten recht lebhaft zugegangen ist. In seinen letzten Tagen als Präsident der Leibniz-Gemeinschaft war der als listenreich geltende Rietschel 2010 in die Auseinandersetzungen um den Fortbestand seiner Heimatuniversität Lübeck verwickelt gewesen. [25] Vielleicht bleibt ihm nach all dem Düsseldorfer Ärger wenigstens die Genugtuung, recht bald der Verleihung der Ehrendoktorwürde an die (Ex-)Ministerin beizuwohnen, die ihr in Lübeck als Dank für die Rettung zuerkannt wurde.

Um das Amtsverständnis dieser früheren Ministerin aber war es wohl doch nicht zum Besten bestellt. Dabei erscheint es erschreckenderweise durchaus möglich, dass sie nach eigener Überzeugung stets der Wissenschaft diente. Sie war eben nur nicht in der Lage, zwischen ihren eigenen Interessen und den Belangen der Wissenschaft zu unterscheiden. Womöglich hielt sie sich selbst für die lebende Verkörperung der Wissenschaft.

Die Tatsache, dass der für die Wissenschaft zuständigen Ministerin von ihrer Universität der Doktorgrad wegen vorsätzlicher Täuschung entzogen wurde, konnte man für einen zwingenden Rücktrittsgrund halten. In dem Amtsverständnis aber, das die Ministerin in ihrem Abwehrkampf gegen den Plagiatsvorwurf offenbarte, war ein unbedingt zwingender Rücktrittsgrund zu sehen.

9 Antworten zu “Mobilmachung der Springteufelchen: Schavans Amtsverständnis in eigener Sache

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  2. Liebe Simone G.,
    ganz herzlichen Dank für diesen hervorragenden Beitrag, der sicher viel Zeit, Mühe und „Herzblut“ gekostet hat. Wir „Demokratieverbraucher“ wären arm dran, wenn es nicht noch solche Idealisten wie dich gäbe, die es auf sich nehmen, die Defizite des ganzen aufgeblasenen Medienapparates wenigstens ansatzweise auszugleichen. Du, und nicht die „Öffentlich-Rechtlichen“, hättest die „Demokratieabgabe“ verdient.

  3. Am 19. März 2013 wird Frau Prof. Dr. Dr. hc. mult. Annette Schavan in Potsdam mit dem Abraham-Geiger-Preis ausgezeichnet werden. Die Laudatio hält Christoph Markschies. Eine in jeder Beziehung erhebende Gestaltung dürfte also gewährleistet sein.

  4. Sehr schöner Artikel. Von Dir und auch von Erbloggtes habe ich eine Menge gelernt. Danke Euch beiden!

  5. Eine sehr gelungene Übersicht über die Versuche, die Universität und die öffentliche Meinung während des Verfahrens zu beeinflussen. Vielen Dank dafür!

  6. Eine treffende Überschrift für den ganzen „Vorgang Schavan“:
    „Die hl. Anette von den Kopierautomaten“ (G.Hasselkamp, UZ, 15.02.2013, Seite 2). Mehr braucht´s nicht.
    K.W.Th. Frühwald
    Frankfurt/M.

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