Heikle Frage

schnierl
Der journalistische Schaffensdrang, von dem Heike Schmoll am Wochenende des 13./14. Oktober 2012 jählings befallen worden zu sein scheint und von dessen Früchten die Frankfurter Allgemeine Zeitung in ihrer Ausgabe vom 15. Oktober so reiche Zeugenschaft ablegt, ist wahrlich staunenswert. Einem aufmerksamen Beobachter mag sich dieser Drang der Journalistin, die Causa der Annette Schavan aus der Welt zu schaffen, allerdings schon früher gezeigt haben. Bereits am 9. Mai 2012 nämlich war es Heike Schmoll, die ausgiebig Wolfgang Frühwald und Gerhart von Graevenitz in dieser Sache zu Wort kommen ließ. So wusste man als FAZ-Leser schon eine Woche nach der Erstveröffentlichung der Plagiatsvorwürfe auf schavanplag, dass der Tatbestand des Plagiats nicht erfüllt war. Der frühere DFG-Präsident Frühwald hatte das bei seiner von ihm persönlich vorgenommenen, gründlichen Untersuchung der Dissertation festgestellt, und der frühere Konstanzer Universitätsrektor von Graevenitz hatte das bei seiner von ihm persönlich vorgenommenen, gründlichen Untersuchung der Dissertation auch festgestellt.

Nebenher war es im Zuge der von Graevenitz’schen Untersuchung noch zu einer Entdeckung gekommen. Der Konstanzer Forscher hatte nämlich eine Technik entdeckt, oder vielmehr eigentlich eine bei Geisteswissenschaftlern und insbesondere in der Erziehungswissenschaft verbreitete Praxis, die Eisbergtechnik genannt wird. Es geht hierbei um eine Zitierweise, bei der sich nur die Spitze der Zitate offen zeigt, während die Masse dieser Eisbergzitate unterhalb der Oberfläche dahindümpelt. Man sieht sie nicht, aber man weiß doch immer: Wo eine Spitze ist, da ist auch ein Berg. Diese Eisbergtechnik geht also völlig in Ordnung, weshalb sie nicht nur in der Dissertation von Annette Schavan, sondern auch in der Elektronik zur Anwendung kommt, nämlich bei der Fertigung von Platinen, als Weiterentwicklung der Dickkupfertechnik übrigens. Jenseits dieser beiden Anwendungsbereiche (Herstellung der Dissertation Schavan, Herstellung von Leiterplatten) sowie außerhalb von Konstanz-Egg im Nahbereich der Eggerhaldestraße ist die Eisbergtechnik allerdings bislang weniger bekannt.

Überhaupt lässt ja die Weiterentwicklung der Kupfertechnik in vielen Wissenschaftsbereichen immer noch zu wünschen übrig. Annette Schavan dagegen hatte sich vor 32 Jahren bereits auf einen interdisziplinären Ansatz eingelassen, was damals für junge Promotionsstudenten nachgerade ein Wagnis gewesen ist, wie ihr Doktorvater Gerhard Wehle gerne bestätigt. Und auch uns will die Verbindung von Methoden aus der Erziehungswissenschaft, der Moraltheologie und der Hochstrom-Elektronik bei der Analyse der Gewissensbildung sehr mutig erscheinen.

Soweit also zu den Ergebnissen der Überprüfung der Dissertation durch Frühwald sowie zu den Resultaten der gleichzeitigen, aber von Frühwald ganz unabhängigen Überprüfung derselben Dissertation durch von Graevenitz. Wenig später  haben sich Frühwald und von Graevenitz dann übrigens auch gemeinsam öffentlich und mit allem Nachdruck gegen ein Klima des Verdachts und der Bedrohung gewandt, aber das entsprang einer allgemein gesellschaftlichen Sorge und hatte speziell mit der Angelegenheit Schavan nichts zu tun.

Von Heike Schmoll war in dieser Sache erneut am 30. Mai zu lesen. Inzwischen hatte Martin Heidingsfelder den Vorwurf des Eigenplagiats öffentlich gemacht: Die Bundesbildungsministerin habe in ihrer Dissertation nicht nur von anderen, sondern auch von sich selbst abgeschrieben. Es geht da um einen Sammelband, den Annette Schavan damals gemeinsam mit dem Freiburger Religionsphilosophen Bernhard Welte herausgegeben hatte und in dem auch ein Aufsatz der Annette Schavan abgedruckt ist, dessen Text sich weitgehend so oder (sehr) ähnlich in ihrer Dissertation wiederfindet. Beide Publikationen, der Sammelband und die Dissertation, erschienen 1980. Nun ist die empfindliche Frage: Was war Henne, was war Ei? Wäre nämlich die Dissertation erst nach dem Sammelband mit seinen gleichlautenden Texten gelegt worden, dann hätte die Doktorandin damals gegen die Promotionsordnung verstoßen und gegenüber der Fakultät eine falsche Versicherung abgegeben. Schmoll löst dieses heikle Problem auf elegante Art:

Nach Recherchen dieser Zeitung stammt das Vorwort in [dem] Sammelband […] aus dem Mai 1980. Doch der Sammelband selbst […] erschien im Dezember 1980 im Patmos-Verlag. Erst 1981 wurde er in die Deutsche Nationalbibliothek aufgenommen. Heidingsfelder hat sich also nur am Datum des Vorworts orientiert.

Die Recherchen dieser Zeitung werden wohl von der Rechercheabteilung durchgeführt worden sein, die diese Zeitung für solche Zwecke eigens unterhält. Lauter Profis, denen Mittel und Wege der Recherche zu Gebote stehen, an die unsereins noch nicht einmal denkt. So eine Recherche dieser Zeitung, das ist schon was völlig anderes als irgend eine simple Unterhaltung, sagen wir mal, beim Frühstücksei. Das kann die Heike Schmoll unmöglich selbst machen. Das machen Profis für sie, und wie sie das dann gemacht haben, das weiß die Heike Schmoll gar nicht und kann deshalb auch gar nicht sagen, woher diese Zeitung jetzt weiß, dass der Sammelband im Dezember erschienen ist. Der Heidingsfelder dagegen ist kein Profi. Der stümpert bloß ‚rum und hat sich nur am Datum des Vorworts orientiert. Mai – lachhaft. Dezember ist ja viel später, das haben wir gleich bemerkt.

Der Sammelband ist also im Dezember erschienen. Und wurde sogar noch später, erst 1981, in die Deutsche Nationalbibliothek aufgenommen. Das ist deshalb nicht unwichtig, weil so ein Sammelband vorher eigentlich gar nicht zählt. Die Dissertation dagegen,

die im Sommer eingereicht und im Oktober 1980 begutachtet wurde, ist ebenfalls im Dezember 1980 veröffentlicht worden. Das Vorwort ist auf den 1. Dezember datiert.

Während sich Heidingsfelder nur am Datum des Vorworts des Sammelbandes orientiert hat, was natürlich so nicht geht, hat sich Heike Schmoll am Datum des Vorworts der Dissertation orientiert, und daraus kann man dann ablesen, wann diese Dissertation veröffentlicht worden ist. Nämlich keinesfalls später als der Sammelband, und eigentlich sogar früher, denn sie musste offenbar später nicht auch noch in die Deutsche Nationalbibliothek aufgenommen werden.

Das war die FAZ vom 30. Mai 2012. Im Juni, Juli, August hat Heike Schmoll eine ruhige Zeit, was die Causa angeht. Auch der Rückzug der Annette Schavan aus dem CDU-Parteivorstand scheint ihr keine besondere Schaffensdrangsal zu bereiten, aber auch Annette Schavan selbst scheint davon ja bemerkenswert unberührt. Der September verstreicht ohne Besonderheiten, nur das Warten auf den Spruch aus Düsseldorf dauert allmählich doch schon arg lang.

Und dann kommt dieser Oktober, in dem Heike tobt und wütet und völlig aus dem Ruder läuft, und wenn man im Büro in ihrer Reichweite sitzt und vielleicht auch mal etwas zur Causa schreiben will, aber vielleicht anders als Heike, dann bleibt man besser gleich ganz daheim. Oder man packt sein Geraffel und schleicht sich erst einmal fort aus der FAZ, zum Beispiel in die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, wo man dann darauf wartet, dass sich die Heike endlich wieder fängt.

So, jetzt langt’s. Die Glosse … nächstes mal. 

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