Grundlagen der Plagiatsphrasenforschung, Teil 3: Dynamischer Verschiedenheitswandel

Akademievorlesung mit Annette SchavanHeute ist Akademievorlesung in Berlin, und in Brandenburg auch, und da müssen Sie hin. Das sind Sie sich schuldig, und das sind Sie der Wissenschaft schuldig. Denn mit der heutigen Vorlesung eröffnet die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften eine dreiteilige Vortragsreihe, die das groß angelegte Forschungsprojekt „Zitat und Paraphrase“ einer breiteren Öffentlichkeit vorstellt.

Endlich werden wir also der Forschungsergebnisse teilhaftig, die überhaupt erst eine Bewertung angeblicher Plagiatsfälle ermöglichen. Denn bislang fehlten ja „wichtige Instrumente für ein Gesamturteil“, wie der Berliner Theologe Christoph Markschies, Sprecher der Interdisziplinären Arbeitsgruppe „Zitat und Paraphrase“, zu Beginn des Projekts festgestellt hatte. [1] Damals, im Februar 2013, fehlten insbesondere wichtige Instrumente für ein Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf im Fall der Annette Schavan. Deshalb wurde der Antrag auf Einrichtung der IAG nicht nur der Akademie vorgelegt, sondern zugleich auch der ehemaligen Ministerin, damit deren Anwälte ihn dann als willkommene Argumentationshilfe vor Gericht verwenden konnten. [2] Denn dieser Antrag las sich überaus günstig für die Sache der Annette Schavan.

Nicht ganz so günstig lesen sich die Papierchen, mit denen Markschies und seine Mitstreiter ihre Handlangerdienste als Dienst an der Wissenschaft verkaufen wollten, für das Ansehen der BBAW und jener Mitglieder der IAG, die glaubten, hier gelte es tatsächlich etwas zu erforschen. Markschies selbst will inzwischen behaupten, die Arbeitsgruppe habe sich von Beginn an „ausdrücklich … nicht mit der Causa Schavan beschäftigen“ wollen. [3] Wie weit diese Behauptung von der Wahrheit entfernt ist, zeigt nicht nur die zweckdienliche Bereitstellung des IAG-Antrags im laufenden Gerichtsverfahren der Annette Schavan: Im Juli 2013 präsentierte sich die IAG auf einer Tagung des Wissenschaftsrates durch einen Vortrag ihres Mitglieds Philipp Theisohn, der zur Ehrenrettung Schavans denkwürdige Volten in den Höhen fabelhafter Wolkigkeit vollführte. [4, 5] Auch dieser Vortragstext fand dann, durch wissenschaftliche Detailforschungen der Anwaltskanzlei ergänzt, seinen Weg in die Unterlagen des Verwaltungsgerichts. [2]

In der BBAW und innerhalb der IAG hat dieser eklatante Missbrauch der Akademie, ihrer Mitglieder sowie öffentlicher Forschungsgelder inzwischen für erheblichen Verdruss gesorgt. Dabei ist nicht unbemerkt geblieben, dass BBAW-Vizepräsident Markschies eine finanzielle Förderung der IAG durch die Fritz-Thyssen-Stiftung wohl mit besonderer Zuversicht voraussetzen durfte. Denn Antragsteller Markschies war zugleich auch stellvertretender Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats dieser Stiftung. Und auch die ungewöhnliche Verstärkung der IAG durch Persönlichkeiten, die nicht der BBAW angehörten, musste Aufmerksamkeit erregen: Da waren unter anderem der derzeitige Leiter des Cusanuswerks, ein ehemaliger Leiter des Cusanuswerks und ein ehemaliger Referent des Cusanuswerks. [6] Die Bischöfliche Studienstiftung als langjährige Wirkungsstätte der Annette Schavan ist somit in der IAG fast schon so stark vertreten wie das Plagiat in ihrer Doktorarbeit.

An die Unschuld der Markschies’schen Wissenschaftsanstrengungen in Sachen Zitat und Paraphrase glaubt auch an der Akademie heute kaum noch jemand:

Aus der Arbeitsgruppe ist zu hören, das Projekt sei durchaus in der Absicht lanciert worden, Schavans Fehler durch Vergleiche etwa mit historischen Zitierweisen zu relativieren. [3]

Das ärgert insbesondere jene, die nun den Eindruck haben müssen, unter falschen Vorzeichen zur Mitwirkung gebracht worden zu sein. Endgültig überzog Markschies dann, als er gemeinsam mit Akademiepräsident Günter Stock und dem Ehemann der Bundeskanzlerin, Joachim Sauer, im Frühjahr 2014 dafür sorgen wollte, dass Schavan die Leibniz-Medaille der BBAW erhielt. [7] Dieser Versuch traf auf Widerstände in der Medaillenkommission. Nachdem der Vorgang öffentlich geworden war, schlug die Stimmung in der BBAW vollends um: Markschies, bis dahin als einziger, alternativloser Kandidat für die Nachfolge von Stock gehandelt, hatte sich als künftiger Präsident der Akademie unmöglich gemacht. [3]

Die heutige Vorlesung hat also eine gehörige akademiepolitische Vorgeschichte. Sie muss ja nun aber wissenschaftlich sein und unter Beweis stellen, was für eine Wissenschaft in diesem ehrenwerten Haus getrieben wird. Zur Sache Schavan werden Sie daher heute und an den beiden folgenden Vorlesungsabenden wohl kaum etwas zu hören bekommen. Alles ist reine Wissenschaft und nie etwas anderes gewesen. Das ist Ihnen bisher nur irgendwie entgangen. Zur besseren Orientierung sollten Sie sich deshalb vorab schon einmal kundig machen und nachlesen, was denn die BBAW über ihre Interdisziplinäre Arbeitsgruppe „Zitat und Paraphrase“ zu sagen hat:

Die interdisziplinäre Arbeitsgruppe untersucht die Strategien der akademischen Wissensaneignung im Vergleich der Disziplinen und Epochen [7]

heißt es in der offiziellen Projektdarstellung. Doch schon im nächsten Satz ist das gar nicht mehr wahr. Vielmehr:

Welche Standards gelten bei der Dokumentation der Aneignung von Wissen in akademischen Zusammenhängen, in welchen Disziplinen bzw. multi- und transdisziplinären Zusammenhängen und warum? [7]

Mit einer Untersuchung von „Strategien der akademischen Wissensaneignung“ hat dies in etwa so viel zu tun wie die Buchhaltung auf der Santa Maria mit dem multi- und transkontinentalen Seeverkehr zur Zeit des Christoph Kolumbus. Der Wellengang ist jedenfalls beträchtlich:

Die Arbeitsgruppe wird versuchen, einen Beitrag zur präziseren Beschreibung der Verschiedenheit der Regeln sowohl im Blick auf die Disziplinen als auch auf die unterschiedlichen Epochen zu liefern. Sie wird erklären, warum es zusätzlich zu aller (statistisch verstandenen) Verschiedenheit noch dynamischen Wandel von Verschiedenheiten gibt und Gründe dafür zusammenstellen. [7]

Denn es ist ja nicht einfach damit getan, dass man erklärt, warum es zusätzlich zur statistisch verstandenen Verschiedenheit noch dynamischen Wandel von Verschiedenheiten gibt, sondern man muss natürlich auch noch Gründe dafür zusammenstellen. Wenn Sie das verstanden haben, statistisch, dann können Sie dynamisch zu Fragen mathematischer Messbarkeit fortschreiten. Auch hier kommt es natürlich auf höchste Präzision an. Daher fragt die IAG

nach präzisen Begriffsdefinitionen, problematisiert die Idee einer mathematischen Messbarkeit wissenschaftlicher Originalität und diskutiert an den Beispielen von Zitat und Paraphrase die Praktiken verschiedener Disziplinen an konkreten Fällen. Dabei werden die medientheoretischen, rhetorisch-sprachlichen und wissenschaftspolitischen, juristischen und ethischen Dimensionen des Themas berücksichtigt. [7]

Antrag IAG Zitat und ParaphraseEindrucksvoller als diese wissenschaftliche Beliebigkeitsprosa ist nur noch der Antragstext, mit dem Antragsteller Christoph Markschies seinerzeit den stellvertretenden BBAW-Präsidenten Christoph Markschies und den stellvertretenden Beiratsvorsitzenden Christoph Markschies bei der Thyssen-Stiftung von der Notwendigkeit der ungesäumten Einrichtung und Finanzierung dieses Vorhabens überzeugen konnte. An der BBAW war dieses Papier lange Zeit nur wenigen Eingeweihten bekannt, und selbst die meisten IAG-Mitglieder haben sich wohl nicht mit seiner Lektüre abgegeben. Erst in der Zeit der Querelen im Vorfeld der anstehenden Präsidentenwahl fand der Text weitere, erstaunte Leser. „Armseliger Bockmist“ war da noch ein vergleichsweise schmeichelhafter Kommentar.

Tatsächlich wird schon auf der ersten Seite dieses Antrags beispielhaft vorgeführt, in welcher Qualität ein Projekt konzipiert werden muss, um es an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften ansiedeln zu können. Die Diskussion über Plagiatsfälle bedürfe „der wissenschaftlichen Begleitung durch die Akademie und die Wissenschaft selbst„, heißt es da,

weil in der Debatte eine Fülle nicht oder in unterschiedlichen disziplinären Zusammenhängen unterschiedlich verwendeter Begriffe benutzt wird (z.B. ‚Paraphrase‘ oder ‚Plagiat‘)

Diese Feststellung ist so wichtig, dass sie an anderer Stelle im Antrag fast wortgleich wiederholt wird:

In der gegenwärtigen Debatte wird eine Fülle nicht oder in unterschiedlichen disziplinären Zusammenhängen unterschiedlich verwendeter Begriffe verwendet.

Wir dürfen also ernsthaft darauf hoffen, dass die wissenschaftliche Begleitung der Diskussion durch die Akademie und die Wissenschaft selbst dazu führt, dass in der Debatte nicht länger eine Fülle von Begriffen benutzt wird, die nicht verwendet werden. Das könnte ein wertvoller Beitrag zur Verständigung sein, auch unter Berücksichtigung der medientheoretischen Dimension. Der Antragstext rückt allerdings andere Dimensionen ins Blickfeld als die offizielle Projektbeschreibung. Denn zu beklagen ist, dass

der Debatte meistens jede transdisziplinäre wissenschaftstheoretische Dimension fehlt, die nach Gemeinsamkeiten wie Unterschieden entsprechender Standards akademischer Wissensaneignung in unterschiedlichen Disziplinen sowie multi- und transdisziplinären Kontexten fragt und dabei auch nationale Unterschiede und die Gender-Frage thematisiert

Denn Gender ist überall und allezeit. Wissenschaftstheoretisch gut dimensioniert aber ist ein Antrag, wenn er seinen Gegenstand zum Anzeiger für „Fundamentalprobleme von Wissenschaften in der Gegenwart“ erklärt und sodann ein „basales Grundproblem“ als Ausgangspunkt des geplanten Vorhabens „skizziert“. Denn nur ein „basales Grundproblem“ ist wirklich ein Grundproblem von Wichtigkeit.

Wir verdanken dieser Skizze wertvolle Einsichten in geisteswissenschaftliche Denk- und Arbeitsweisen. Die Geisteswissenschaften sind

zur Zeit in der schizophrenen Situation, vermehrt digital zu forschen, ohne zugleich den emphatischen Werkanspruch aufzugeben, der sich mit der Buchform verbindet. Die Abhängigkeit zahlreicher Forschungsarbeiten vom digitalen Gedächtnis wird nicht sichtbar; gleichzeitig stellt die Praxis des parzellierten Lesens, das durch oberflächliche Bearbeitung des Gelesenen zu einem parzellierten Schreiben, ein schweres Problem für die Geisteswissenschaften dar.

Für den Antrag auf Einrichtung der IAG stellte die Praxis des parzellierten Lesens, das durch oberflächliche Bearbeitung des Gelesenen zu einem parzellierten Schreiben, allerdings kein schweres Problem dar. Denn bei der Thyssen-Stiftung war ja derselbe Praktiker des parzellierten Lesens am Werk, der diesen Antrag parzelliert geschrieben hatte.

Der Antrag, mit dem Christoph Markschies und seine Mitstreiter an der BBAW und im Cusanuswerk versucht haben, die Dinge für Annette Schavan zum Guten zu wenden, liest sich wie ein Weißbuch der pseudowissenschaftlichen Vernebelungstaktik. Er ist das Dokument einer Kampfzeit, in der rasch gehauen und gestochen werden musste und auf irgendwelche Feinheiten gedanklicher oder sprachlicher Art keine Rücksicht genommen werden konnte. Er zeugt von wenig Besinnung und von reichlicher Wirrheit und Substanzlosigkeit, die durch verbale Aufpumpung kaschiert werden soll. Der durchgehende Subtext einer Schavan-Apologie ist unübersehbar. Doch seither sind andere Zeiten angebrochen. Auch die IAG „Zitat und Paraphrase“ unterliegt einem dynamischen Wandel von Verschiedenheiten. Die Plagiatorin Annette Schavan ist wissenschaftlich nicht mehr ernstlich zu stützen, und schon gar nicht durch die IAG und ihren Sprecher Markschies, der den Geruch des getreuen Paladins und Wissenschaftsmanipulators in Diensten der früheren Ministerin ohnehin nicht mehr loswird.

Und so dürfen Sie heute der Akademievorlesung von IAG-Mitglied Glenn Most lauschen, der über „The Rise and Fall of Quellenforschung“ spricht. Irgendwie haben wir die starke Ahnung, dass es da sehr wenig um Annette Schavan gehen wird. Ebensowenig wie am 21. Mai, wenn Rainer Maria Kiesow seine Vorlesung über „Das perfekte Plagiat. Ein Lehrstück über Rechthaberei“ halten wird. Oder gar am 2. Juli, wenn Christoph Markschies über „Präzisierung und Autorisierung“ referieren und sich dabei in eine Betrachtung des Wandels der Bibelzitation retten wird, um möglichst weit weg von Annette Schavans „Person und Gewissen“ zu kommen.

Ein „dringender Handlungsbedarf“, wie ihn Markschies 2013 in seinem Antrag

durch die erkennbar auch parteipolitisch grundierte Debatte über mögliche Plagiatsfälle in akademischen Qualifikationsarbeiten von gegenwärtig politisch handelnden Personen

gegeben sehen wollte, spiegelt sich in einem solchen Vorlesungsprogramm wohl nicht. Und auch für eine Aufarbeitung all der himmelschreienden Defizite einer aktuellen Diskussion, die der Begleitung durch die Akademie und die Wissenschaft selbst bedarf, ist hier offenbar wenig zu erwarten. Worin also besteht nun der großartige und sehnlichst herbeigeflehte Erkenntnisgewinn der IAG „Zitat und Paraphrase“? Wo sind die „wichtigen Instrumente für ein Gesamturteil“, die uns bislang gefehlt hatten?

Die heutige Präsentation könnte da recht aufschlussreich sein. Es wird da wohl, so sagt uns unser Gefühl, in der Hauptsache um Nietzsche und die griechische Antike gehen. Warten Sie’s ab.

Oder sehen und hören Sie sich die Akademievorlesung der BBAW von heute abend hier schon mal in ihrer Simultanübertragung aus dem Jahre 2013 an:

 

4 Antworten zu “Grundlagen der Plagiatsphrasenforschung, Teil 3: Dynamischer Verschiedenheitswandel

  1. Indal Powariacz

    Mir ist die Gender-Problematik des Plagiats unklar: heißt es nicht „das Plagiat“? Fühlen sich hier die traditionellen Majoritätsgender etwa unterlaufen? Hoffentlich wird nach „Schtonk“ auch „Schtul“ verfilmt, denn groteske Wendungen und schräge Schranzen hat die Causa ja in Hülle und Fülle.

  2. Die BBAW ist jetzt so freundlich und stellt Audio-Mitschnitte der Akademievorlesungen online. Man kann nun die „Quellenforschung“-Vorlesung von Glenn Most vom 30. April 2015 vergleichen mit der gleichnamigen Vorlesung, die er fast zwei Jahre zuvor schon in Jerusalem gehalten hat. Wenn man die Berliner Vorlesung von 2015 zeitgleich mit der Jerusalemer von 2013 abspielt, ergibt sich ein schöner Stereo-Effekt.

  3. [Gerne veröffentlichen wir hier wechselseitige Hinweise aus der einschlägigen Szene auf die jeweilige Konkurrenz. -red.]

    Bei der „schönen Simone“ handelt es sich um die Lebensgefährtin eines bekannren Titelbetrügers und Wunderheiler Lois H[…] vom Ammersee.

  4. Warum werden die Namen der extrem dreist betrügerischen Titelhändler „Dr.Dr.“ H[…] hier weggekürzt? Das passt der schönen „Simone G.“ freilich nicht, dass ihre Geschäfte öffentliche Resonanz bekommen.

    [Die Namen der extrem dreist betrügerischen Titelhändler „Dr.Dr.“ H. werden hier schon deshalb weggekürzt, weil wir die angebliche Verbindung zu Simone G. nicht erkennen können. Außerdem haben wir keine Erkenntnisse darüber, dass die extrem dreist betrügerischen Titelhändler „Dr.Dr.“ H. gegenwärtig in diesem Geschäftsbereich noch tätig sind. -red.]

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