Halsbruch, oder: Eusebius von Caesarea und die Vorzüge des Konfirmandenunterrichts

Angekündigt war die Vorlesungsreihe an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften mit dem Versprechen, „einen möglichst breiten Einblick in die Thematik“ zu gewähren, die „am Beispiel unterschiedlicher Epochen und verschiedener Fächer“ diskutiert werden sollte. Und in der Tat: Mit der Vergangenheit des Jahres 2013, der Zukunft des Jahres 2073 sowie schließlich der aktuellen Gegenwart bezogen sich die drei Vorträge über „Zitat und Paraphrase“ auf ebenso viele Epochen, wobei sich die Zukunft als ganz besonders unterschiedlich erwies. Auch die Fächer waren sehr verschieden. Beteiligt waren unter anderem das Schubfach und das komische Fach. Letzte Zweifel an der wissenschaftlichen Seriosität und Unverzichtbarkeit der Interdisziplinären Arbeitsgruppe, die der Kirchenhistoriker Christoph Markschies und seine Mitstreiter zu eben jener Zeit eilends aus der Taufe gehoben hatten, da Annette Schavan ihren Doktorgrad zurückerobern wollte, wurden durch diese Akademievorlesungen gründlich zerstreut. Und das ging so:

Vergangenheit

Zunächst referierte am 30. April Glenn Most über „The Rise and Fall of Quellenforschung“  und versetzte uns damit direkt in eine längst vergangene Zeit zurück. In jene Epoche vorwissenschaftlichen Halbdunkels nämlich, in der die Arbeit der IAG „Zitat und Paraphrase“ noch keine Früchte getragen hatte. Denn im Juni 2013 hatte Most denselben Vortrag an anderer Stelle schon einmal gehalten, und zwar wortwörtlich in exakt derselben Fassung. Und auch damals hatte dieser Vortrag in wesentlichen Teilen schon deutliche Gebrauchsspuren gezeigt.

Zukunft

Nach diesem Beitrag aus der Schublade bot Rainer Maria Kiesow am 21. Mai mit seiner Vorlesung über „Das perfekte Plagiat“ breiten Einblick in eine groteske Wissenschaftszukunft von orwellscher Düsternis. Es war eine Zukunft, in der Wissenschaftlern durch ein „Europäisches Zentralinstitut für erlaubte wissenschaftliche Praxis“ sämtliche akademischen Titel und Würden entzogen wurden, wenn ihr amtlich errechneter Originalitätsquotient den gesetzlich festgelegten Mindestwert nicht erreichte. Dieser Ausflug in das Jahr 2073 war zunächst als „Kriminalstück“ angekündigt worden, doch in Ermangelung eines zündenden kriminellen Plots wurde er inzwischen als „Lehrstück über Rechthaberei“ vorgestellt. Das sehr notwendige akademische Bemühen um den deutschen Witz erreichte in dieser Vorlesung einen ersten Höhepunkt bereits nach etwa sechs Minuten, als Kiesow das Publikum mit der Mitteilung traktierte, die verstorbene Gattin seines traurigen Helden habe sich wissenschaftlich dem Spezialgebiet des Furzens in der Weltliteratur verschrieben. An dieser Stelle wäre unbedingt zu lachen gewesen.

Nach einer Dreiviertelstunde kam Kiesow mit seinem öden Rant zum Ende, was ihm unsere tief empfundene Dankbarkeit sicherte. Dabei hatten wir weder ein perfektes Plagiat zu sehen bekommen noch auch nur irgend Näheres über Rechthaberei erfahren. Doch ein Lehrstück war diese Akademievorlesung allemal.

Prolegomena zur unmittelbaren Gegenwart

Nach diesen möglichst breiten Einblicken in Vergangenes und Zukünftiges blieb noch die gegenwärtige Lage abzuhandeln. Diesen Part hatte Christoph Markschies selbst übernommen, der am 2. Juli über „Präzisierung und Autorisierung“ sprach. In einer ausführlicheren Vorankündigung hatte sich dieser Aktualitätsbezug allerdings noch nicht abgezeichnet. Hier las man:

Seit der Antike werden Stellen aus der Bibel immer genauer wiedergegeben. Die Präzisierung weist den Texten eine zunehmende Autorität für theologische Argumentationen zu und macht die Zitate eindeutiger identifizierbar. In der Antike wurden Bibelzitate, aus heutiger Sicht, noch recht grob zitiert. Erst seit dem Hochmittelalter werden sie mit Kapiteln angegeben. Eine gemeinhin verbreitet[e] Verszählung gibt es sogar erst seit dem 19. Jahrhundert. Aber handelt es sich hier um eine lineare Entwicklung? Kann man sogar von einem charakteristischen Beispiel der allgemeinen Verwissenschaftlichung sprechen? War die Theologie wie bei anderen Methoden der Texterschließung Schrittmacherin einer Entwicklung oder hinkte sie hinterher? [1]

Mit diesem Entwurf war es dem Vortragenden allerdings nicht besser ergangen als Rainer Maria Kiesow mit seinem ursprünglich geplanten Kriminalstück: Es wurde nicht viel daraus, zumal es sich mit dem, was aktuell gesagt werden musste, nicht recht verbinden ließ. Und so erlebten wir im Einstein-Saal der Akademie den wohl merkwürdigsten Vortrag dieser Saison: Der Referent kündigte seine Ausführungen gleich selbst als „völlig indisponiert“ an. Sie bestünden aus einer „viel zu langen Einleitung“, auf die ein „viel zu kurzer Mittelteil“ und ein „halsbrecherischer Schluss“ folgen sollten. Und als er nach mehr als einer Stunde zu diesem Schluss kam, fand Markschies seine eigenen, langwierig entfalteten Beobachtungen denn doch „überaus trivial“. Von einer wissenschaftlich fundierten Beweisführung war er noch ebenso weit entfernt wie eine gute Stunde zuvor, weshalb er seine „These“ nun auf das Thema der Vortragsreihe auch nur irgendwie „appliziert“ haben wollte.

Und wer wären wir, dem Referenten da zu widersprechen? Sein Vortrag war in seinem angeblich so kurzen und in Wahrheit doch viel zu langen Mittelteil wie auch im angeblich halsbrecherischen Schluss letztlich eine Banalität. Markschies beschränkte sich in der Hauptsache darauf, den antiken christlichen Umgang mit biblischen Texten als „relativ radikalen Bruch“ mit der bis dahin üblich gewesenen Bezugnahme auf Texte ohne näheren Stellenhinweis und in nur ungefährer Wiedergabe zu beschreiben. Genauer gesagt: Es war die Einführung von Kapitel- und Verszählung, an der dieser relativ radikale Bruch aufzuzeigen war. Diese „Vorgeschichte“ heutiger Standards der Zitation beginnt, wie Markschies ausführte, im 4. Jahrhundert, einer Zeit verschärfter Auseinandersetzungen in den Kirchen also, in der es auf den genauen Wortlaut autoritativer biblischer Texte ankam und Eusebius von Caesarea seine Kanontafeln schuf, um einen synoptischen Abgleich der Evangelienberichte zu erleichtern. All das ist mehr oder weniger bekannt gewesen, seit die Großnichte des heiligen Pamphilos ihren ersten Schulaufsatz verfasst hat.

Was war denn nun aber mit diesem Hochmittelalter? Nichts war damit. Stephen Langton erwähnte Markschies nur, um zu sagen, dass auch über ihn etwas zu sagen gewesen wäre. Und während wir uns auf unserem Programmheft an stichometrischen Kritzeleien versuchten, schweiften unsere Gedanken noch ein wenig weiter fort von seiner ewigen Antike: In die Zeit des frühen Buchdrucks etwa, von der Markschies ebenfalls nicht sprach. Er hätte auch von ihr sprechen sollen, sagte Markschies. Und er hätte etwas über Robert Estienne sagen können, vielleicht. Doch es wurde nichts gesagt über diesen bedeutenden Drucker und Verleger des 16. Jahrhunderts, der ja die bis heute übliche Art der Verseinteilung erst etabliert hat, wenngleich sie kaum seine alleinige Erfindung gewesen ist. Und während Markschies weiter von den Kephalaia und dergleichen handelte, dachten wir daran, dass es ja zunächst die gedruckten Psalter waren, die mit einer Verszählung versehen wurden. Und auch in den Bibelausgaben dieser Zeit waren oft nur die Verse der Psalmen nummeriert. Vielleicht hätte man ja doch nicht ganz so einseitig auf den alten Eusebius, das Konzil von Nicäa und solche Sachen abheben und auch Sinn und Zweck einer verlässlichen Feineinteilung von Texten in liturgischer Verwendung in Betracht ziehen sollen. Aber der Titel dieses Vortrags lautete nun mal „Präzisierung und Autorisierung“, und da passte das wohl nicht.

Zum halsbrecherischen Schluss sollte sich dann die Selbstverständlichkeit, mit der heutzutage Verfahrensweisen der Zitation allgemein eher vorausgesetzt als im Einzelnen erläutert würden, dadurch erklären, dass wir alle ja den Konfirmandenunterricht besucht und an pietistischen Bibelwettbewerben teilgenommen haben. Markschies erbat von seinem Publikum Nachsicht für die „fehlenden Begründungsschritte“, verwies auf die Hitze und war am Ende.

Vom Anfang her denken

Um nun aber diesen Vortrag, seinen Sinn und Zweck begreifen zu können, musste man sich am Ende auf die „viel zu lange“ Einleitung zurückbesinnen. Eine Einleitung, von der Markschies behauptet hatte, ihre nicht nur apologetische Notwendigkeit werde spätestens am halsbrecherischen Schluss einleuchten. Dies war jedoch nicht der Fall. Diese Einleitung leuchtete ganz für sich selbst, und sie verbreitete keinen anderen als apologetischen Schein. Sie war auch keineswegs notwendig, wie Markschies behauptet hatte, um ein ansonsten etwa drohendes Missverständnis seines Vortrags abzuwenden. Ein solches Missverständnis drohte diesem Antiquitätenreferat an keiner Stelle. Es war vielmehr der Vortragende selbst, der das dringende Bedürfnis empfand, in anderem Licht zu erscheinen als bisher. Denn durch sein überschießendes Engagement zur Rettung und Rehabilitierung der Annette Schavan hatte er sich in einige Bedrängnis und gar in Misskredit gebracht. So blieb ihm auch die längst sicher geglaubte Nachfolge von Günter Stock als Präsident der Akademie zuletzt verwehrt. [2] Und auch für den Ruf der IAG „Zitat und Paraphrase“, die auch an der Akademie im Geruch der Schavanistentruppe steht, musste Markschies als ihr Sprecher einstehen, indem er seinem Vortrag über die Antike seine confessio zur unmittelbaren Gegenwart vorausschickte. Und also sprach Markschies:

Ich möchte bei der unmittelbaren Gegenwart einsetzen, damit der Verdacht erst gar nicht aufkommen kann, der Blick in die Geschichte der Standards von Zitat und Paraphrase diene letztlich zur Relativierung gegenwärtiger Standards, werde gar unternommen, um Personen zu rehabilitieren, die gegenwärtige Standards verletzt haben und dafür zur Verantwortung gezogen sind.

Um diesen Eindruck gar nicht erst aufkommen zu lassen oder um wenigstens den Versuch zu machen, den Eindruck, wo er vielleicht aufgekommen sein möchte, zu zerstreuen, beginne ich in der Gegenwart, beim Alltag unseres Wissenschaftssystems, und sie werden spätestens am Schluss verstehen, dass ich das nicht nur aus apologetischen Gründen tue.

Was heute als Standard für Zitat und Paraphrase in wissenschaftlichen Arbeiten zu gelten hat, ist klar. Sollte jedenfalls überall bekannt sein, ist für künftige und gewesene Ministerinnen ohne jede Diskussion ebenso verbindlich wie für die, die Wissenschaft zum Beruf machen wollen oder auch nur, horribile dictu, den Doktortitel als karrierefördernden Namenszusatz anstreben. Es existieren vermutlich an den Universitäten dieser Welt tausende von reprografierten oder gedruckten Broschüren oder Taschenbüchern, die in diese Standards einführen, und diese Texte besagen, wenn ich etwas waghalsig formulieren darf, im Blick auf die Standards vermutlich alle mehr oder weniger dasselbe. [3]

Und diese wohl allenthalben gleichen Prinzipien und Standards seien keineswegs erst in jüngster Zeit allgemein verbindlich geworden. So müssten etwa an der Harvard University schon seit 1872 alle Studenten einen obligatorischen Kurs in Expository Writing belegen, in dem ihnen beigebracht werde, wie man wissenschaftliche Arbeiten verfasst.

Ach wie so anders hatte sich das noch im Februar 2013 angehört, als es für Schavan zu fechten galt:

Ich plädiere – als Historiker kaum verwunderlich – für eine geschichtliche Einordnung. Ein kleines Heft mit Zitierregeln als vermeintlich abstrakte Orientierung wie im Fall Schavan hilft da nicht weiter. [4]

Damals behauptete Markschies noch,

dass wir viel zu wenig wissen, wie sich die Gepflogenheiten im Lauf der Zeit und in den jeweiligen Disziplinen entwickelt haben. Es geht um größere Klarheit darüber, was gemeinsame Standards sind und wo spezifische Unterschiede liegen. [4]

In der unmittelbaren Gegenwart aber herrscht in jeder Hinsicht größte Klarheit, und zwar allenthalben und schon seit 1872 und auch im Falle gewesener Ministerinnen ohne jede Diskussion. Als gewesene Ministerin, die sich in jüngerer Vergangenheit noch aus der IAG des Christoph Markschies mit Materialien für ihren Rechtsstreit mit der Universität Düsseldorf versorgen ließ, mag man sich da verwundert die Augen reiben.

Markschies hat nicht nur einen Vortrag gehalten, den er nur für die Abgabe seiner einleitenden Selbsterklärung brauchte, sondern auch als Sprecher einer Interdisziplinären Arbeitsgruppe gesprochen, für die es keine Arbeit gab und die, nachdem die Sache Schavans verloren war, nur noch weitere Beschäftigung simulieren konnte. Insofern war die Folge der Akademievorträge durchaus stimmig: Zunächst ein aus der Ablage hervorgeholter Most, dann ein in die Zukunft phantasierender Kiesow und schließlich ein Markschies, der einen halsbrecherischen Schluss versprach, in Wahrheit aber nur vorab den Hals gewendet hatte.

6 Antworten zu “Halsbruch, oder: Eusebius von Caesarea und die Vorzüge des Konfirmandenunterrichts

  1. Es wäre doch jammerschade, wenn diese Wissenschaftsgeschichte-schreibenden Erkenntnisse der Adhoc-WG Markschies+Friends nicht einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Wo lassen sich diese Glanzstücke der alternativlosen Paraphrasenforschung herunterladen? Wenn nicht, dann gibt es doch bestimmt eine Kontaktadresse elektronischer Art, hinter der eine oder ein lieber Hochschulangestellte(r) nur darauf wartet, uns diese Diamanten der Erkenntnis rasch zukommen zu lassen? Schließlich hat die AG Markschies hierfür öffentliche Steuergelder verarbeitet (oder irre ich?) und ich sehe weit und breit kein geistiges Eigentum eines Drittmittel-Lieferanten involviert. Aber besonders schön wäre natürlich ein Podcast dieser glorreichen Sternstunde der deutschen Staatswissenschaft!

    • Zitat, Paraphrase, Plagiat Für November kündigt der Campus-Verlag das Erscheinen des Bandes an, in dem die edelsten Früchte dieses wissenschaftlichen Großstrebens gesammelt sind. Markschies war allerdings so schlau, auch Leute einzuladen, die apologetischer Tendenzen wirklich unverdächtig sind. Was aber wohl der Beitrag von Ludger Honnefelder zum Inhalt haben wird? Ob die irrlichternde Sophisterei, mit der Philipp Theisohn im Juli 2013 vor dem Wissenschaftsrat aufgewartet hat, hier wirklich noch einmal zwischen Buchdeckel gepresst werden soll? Und ob Rainer M. Kiesow seine bemühten Klimmzüge an der literarischen Stange wirklich und wahrhaftig in einem solchen Sammelband veröffentlichen darf?

  2. Pingback: Drei Vorlesungen, zwei Ehrendoktoren und ein Glühwürmchen | Erbloggtes

  3. Der vollkommen verkorkste Vortrag von Kiesow sollte ja eine Abrechnung mit angeblichem Pedantismus sein. Dabei ist Kiesow selbst unerträglich pedantisch vorgegangen. Ich habe nur noch darauf gewartet, dass er jetzt gleich auch noch genau schildert, wie die Europäische Zentralbehörde ihre Originalitätsnormwerte berechnet, wie ihre Formulare aussehen, wie sie ihre Briefe faltet und wieviel das Porto kostet. Gääääähn.

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