Allein im psychologischen Kern: Festschrift für A.S. (aber sagen Sie es nicht weiter)

Festschrift Annette SchavanGemunkelt wurde ja schon lange, dass namhafte Vertreter des Wissenschaftsbetriebs, von dem Annette Schavan bereits so viele Zeichen der Anhänglichkeit erfahren hatte, für sie nun auch noch eine Festschrift planten. [1, 2] Auch einzelne Beteiligte wollte das Gerücht schon kennen. Dann jedoch geschah nichts, und es schien, als sei dieses Vorhaben still und leise bestattet worden, da vielleicht doch allzu peinlich. Oder als habe es ein solches Projekt nie gegeben. Tatsächlich aber ist die Festschrift für die frühere Ministerin bereits im Sommer 2014 erschienen, als Schavan in Berlin Abschied nehmen musste. Allerdings blieb diese Erscheinung bislang unbemerkt. Denn es handelt sich bei diesem Sammelwerk über „Politik für Wissenschaft und Forschung in Deutschland“ um die merkwürdige Erscheinung einer Festschrift, die vortäuscht, keine Festschrift zu sein.

Auf dem Titelblatt findet sich ebensowenig ein Hinweis auf die Geehrte wie im Rückentext des Bändchens. Weder das Geleitwort von Angela Merkel noch das Vorwort der Herausgeber bekennt sich offen zu der speziellen Aufgabe und dem unmittelbaren Verwendungszweck dieser Schrift: Eine Ehrengabe für Annette Schavan zu sein. Dennoch wird rasch deutlich, wohin der Hase läuft. Und spätestens in den Beiträgen des israelischen Wissenschaftsmanagers und Historikers Menahem Ben-Sasson und des deutschen Kunsthistorikers Horst Bredekamp werden wir dann von ganzen Horden ins Riesenhafte mutierter Mümmelmänner überrannt.

Personal: Beziehungsweise

Durchaus nicht allen Schriften, die im Auftrag der Konrad-Adenauer-Stiftung herausgegeben werden, widerfährt die Ehre eines Geleitwortes aus der Feder der Bundeskanzlerin. Und so zeigt bereits das Inhaltsverzeichnis, dass es bei solchen Gelegenheiten nicht in erster Linie auf den Inhalt ankommt: Wichtig sind vor allem Rang und Namen der Beitragenden. In dieser Hinsicht kann es keinerlei Täuschung geben: Die verschämte Festschrift für Annette Schavan ist ein Politikum.

Als Herausgeber fungieren Erich Thies und Nicola Leibinger-Kammüller, langjähriger Generalsekretär der Kultusministerkonferenz und graue Eminenz des Wissenschaftsbetriebs der eine, Vorzeige-Familienunternehmerin und bis 2014 Mitglied des Wissenschaftsrates die andere. Mit eigenen oder von ihrem Bürochef verfassten Beiträgen sind vertreten: Jörg Hacker, Präsident der deutschen Nationalakademie Leopoldina, Peter Strohschneider, Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Ulrike Beisiegel, Präsidentin der Universität Göttingen und bis 2011 Sprecherin des Ombudsgremiums der DFG, Jürgen Zöllner, ehemaliger Wissenschaftssenator und -minister und heute Vorstand der Stiftung Charité, sowie Andreas Barner, Präsident des Stifterverbands für die deutsche Wissenschaft. Sie alle repräsentieren die deutsche Wissenschaft und Wissenschaftspolitik der Ära Schavan. Mit Katharina Janus ist ferner eine Wissenschaftlerin vertreten, die an Schavans einstiger Wahlkreisuniversität Ulm arbeitet. Der chinesische Wissenschaftsminister Wan Gang und der israelische Politiker und Universitätspräsident Menahem Ben-Sasson stehen für die internationale Arena.

Und Horst Bredekamp steht für sich und für den deutschen Forschergeist, was so ziemlich dasselbe ist.

Inhalt: Andeutungsweise

Eine nähere Würdigung der einzelnen Beiträge ist an dieser Stelle verzichtbar. Sie handeln von allerlei Herausforderungen, lobpreisen die gewaltigen finanziellen Sonderzuwendungen der vergangenen Jahre und bangen um ihre dringend gebotene Fortsetzung, wollen deshalb die Verfassung ändern oder zumindest vom eigenen Nutzen künden. Vom „Nutzen wissenschaftlicher Neugier“ beispielsweise, verkörpert durch die deutsche Nationalakademie, „für die Demokratie“. Von wenig Nutzen ist Neugier dagegen bei der Lektüre dieses Leopoldina-Beitrags, hier hilft nur zähes Durchhaltevermögen und eine gründliche Unempfindlichkeit gegen überdosiertes Wissenschafts-Politsprech.

Gelegentlich schimmert die Schavan-Apologie durch all die dröge Sachlichkeit hindurch. Jürgen Zöllner vermisst verbindliche Vorgaben für die Sicherung der Qualität von Wissenschaft:

Wachsweiche Empfehlungen, wie bislang, reichen nicht und führen dazu, dass Kleinigkeiten hart sanktioniert werden und wirklich Skandalöses eher zufällig entdeckt wird.

Schavan darf gewiss sein, dass ihre Doktorarbeit unter die Kleinigkeiten zu rechnen ist. Und auch Katharina Janus trifft den rechten Ton, wenn sie den Umgang deutscher Professoren mit dem wissenschaftlichen Nachwuchs beklagt:

In diesem Zusammenhang sei auch auf die in der jüngsten Vergangenheit aufgedeckten Plagiatsfälle hingewiesen, die die Schuld allein auf Seiten der Promovenden sahen.

Dabei hätten diese Plagiatsfälle doch sehen müssen, wer sie auf dem Gewissen hat. Denn zu vorsätzlicher Täuschung in einer Doktorarbeit kommt es, wenn

die Aufgaben auf betreuender Seite nicht mit der notwendigen Gewissenhaftigkeit durchgeführt worden sind (…).

Doch in Deutschland wird dies nicht thematisiert. Denn deutsche Professoren genießen den „Status der Nichtantastbarkeit“, deutsche Ministerinnen dagegen leider nicht.

Punkt, Punkt, Komma, Strich

All das ist ja ganz hübsch. Und die hymnische Würdigung, die Menahem Ben-Sasson, Präsident der Hebräischen Universität Jerusalem, der früheren Ministerin angedeihen lässt, wirkt gewiss wohltuend. Nichts aber reicht entfernt heran an die schönen Bilder und die Worte, die Horst Bredekamp zum Beschluss des Bandes für Annette Schavan findet. Bredekamp schildert eine Ministerin, der man in Offenheit die Meinung sagen kann: Auch öffentlich, und ohne dass Kritik verübelt wird. Auf Etikette legt sie wenig Wert, kommt in Gesprächen stets umstandslos auf den springenden Punkt und sucht beharrlich nach Möglichkeiten, auch außergewöhnliche Ideen in die Tat umzusetzen. In der Not erweist sie sich der Wissenschaft als verlässliche Helferin. Zwischendurch besucht man von Zeit zu Zeit gemeinsam ein Museum.

Doch dann widerfuhr dieser Ministerin Übles, indem sie „in das Herbarium der Plagiatsjäger fiel“. Bredekamp wiederholt ein schon sattsam bekanntes Mantra:

Die Protagonisten dieses Metiers besitzen in der Regel kein Bewusstsein und kein Gefühl für die Historizität der Bedingungen des Forschens. Hierin liegt nicht allein die Abstinenz von Empathie; vielmehr markiert der Vorgang einen methodischen Irrtum, der das Zählen mit Bedeutung verwechselt. Damit aber scheint die Frage der Ethik an Computerprogramme, die rechnen und nicht etwa bewerten, abgegeben.

Einmal mehr darf man die oft gerühmte Sprachgewalt dieses Ausnahmeforschers bewundern. Man sollte es nur tunlichst unterlassen, solche Sätze allzu genau zu betrachten. Denn nicht nur ist das ganze Gerede von der Zählerei und den rechnenden Computerprogrammen haltloser Unsinn und Schavan ihren Doktorgrad im Ergebnis einer ganz und gar altmodischen Überprüfung losgeworden: Als „Vorgang“, der einen methodischen Irrtum markiert, ist ein Fall ins Herbarium nicht unmittelbar einleuchtend beschrieben. Und auch der methodische „Irrtum“, der etwas verwechselt, muss befremden, denn normalerweise unterlaufen Irrtümern keine Verwechslungen.

Das Bewusstsein und Gefühl für die Historizität sagt Horst Bredekamp, dass es im längst vergangenen Zeitalter der mühsam von Hand erstellten Notate gar nicht ausbleiben konnte,

dass bisweilen Zitate und Paraphrasen bei der Wiedergabe und Zusammenfügung mit weiteren Ideen verschliffen wurden. Dies stellt den technisch bedingten Unterschied der Literaturaufnahme gegenüber allen späteren Möglichkeiten dar, fotomechanische Kopien herzustellen und diese ohne Verschleifung durch die schreibende Hand in ihrem eigenen Rahmen so lange zu belassen, bis sie zitiert oder paraphrasiert aufgenommen und nachgewiesen wurden.

Die gesamte einschlägige Regel- und Ratgeberliteratur für den wissenschaftlichen Nachwuchs jener Jahre war also hochgradig visionär: Sie hatte keinerlei Grundlage in einer Realität, in der es weder Kopiergeräte noch Computer gab. Und auch der Karteikasten, in dessen Rahmen man Zitate und Paraphrasen vor der schreibenden Hand hätte schützen können, war nur ein Gerücht.

Wo Irrtümern Verwechslungen unterlaufen können, da mögen Unterschiede auch Forderungen stellen. Der technisch bedingte Unterschied der Literaturaufnahme jedenfalls

verlangt umso mehr, dass die Substanz des Formulierten geklärt wird, und nicht etwa die Zahl der übereinstimmenden Buchstaben. Dies nicht realisiert zu haben, war das hermeneutische Desaster der Juroren. Es hätte eines Friedrich Kittler bedurft, um das Unglück zu verhindern, aber dieser Heilige der „Aufschreibsysteme“ war nicht mehr am Leben.

Und so wurde die Heilige des Abschreibsystems in ihrer Plagiatsaffäre erneut ein Opfer der Zeitumstände: Kittler war im Oktober 2011 verstorben und konnte den Düsseldorfer Juroren nicht mehr aus der Beschränktheit ihrer hermeneutischen Endlosschleife heraushelfen. Die aber zählten nicht nur Wörter, sondern sogar Buchstaben.

Bredekamp dagegen weiß, wie Hermeneutik geht. Und so kann er schließlich als ultimativen Unschuldsbeweis für Annette Schavan vorbringen:

Es dürfte wenige Minister geben, die neben ihren langfristig verfolgten Zielen so unmittelbar und spontan auf Ideen einzugehen vermögen, wie es ihr gegeben ist, und dies allein lässt es im psychologischen Kern als abwegig erscheinen, was ihr an der Oberfläche vorgeworfen wurde.

Denn wer sich spontan begeistern kann, dem ist jegliche Täuschung fremd. Bredekamp muss es wissen, denn in seiner stets wortgewaltigen Begeisterungsfähigkeit kennt auch dieser Olympier der Bildforschung keine Täuschung. Schließlich war er es selbst, der neulich erst gründlich in den Mond guckte: [3] Da ist man zwar am Ende doch nur skrupellosen Fälschern aufgesessen, aber das Wesensbild des Künstlers, das man aus dem unverwechselbaren Strich des Galileo Galilei, dieser genialen Mischung aus Fahrigkeit und Präzision, herausgelesen hat, ist groß und schön und also wahr, und kein Wort ist zurückzunehmen. Denn es mögen die Tuschzeichnungen im Sidereus Nuncius an der Oberfläche zwar eine Fälschung sein; eine Täuschung im psychologischen Kern aber gab es nicht. In der Lesart des Horst Bredekamp ist dieser gefälschte Galilei nämlich so gut, dass er der Wissenschaft zuliebe echt sein müsste.

Eine gewisse Gemeinsamkeit mit einer gewesenen Ministerin ist nicht von der Hand zu weisen.

3 Antworten zu “Allein im psychologischen Kern: Festschrift für A.S. (aber sagen Sie es nicht weiter)

  1. Dr. Bernd Dammann

    Statt „Festschrift“ besser: ‚Nekrolog‘

    Diese Ende Juni/Anfang Juli 2014 in den Buchhandel gelangte, aber wie Simone G. – sich als Rezensentin selbst einbeziehend – kritisch vermerkt, „bislang unbemerkt“ gebliebene Veröffentlichung erschien doch erstaunlich schnell im Windschatten des Urteils des VG Düsseldorf vom 20. März 2014. Das war zu diesem Zeitpunkt gerade einmal gut drei Monate alt. Man kann aus diesem Umstand bereits ermessen, mit welch heißer Nadel dieses Sammelsurium von Lobgesängen aus der Feder eingefleischter Hardcore-Schavanisten zusammengeschustert worden sein muss.

    Deren angestrengtes Bemühen, Person und Wirken der zu Würdigenden in das rechte parteipolitische Licht zu rücken, wirkt denn auch mehr als peinlich. Denn ebenso griffige wie wirklich sachlich angemessene und deswegen überzeugende Beurteilungen wollen ihnen partout nicht gelingen. Das mag auch daran liegen, dass keineswegs „namhafte Vertreter des Wissenschaftsbetriebs“ in großer Zahl für dieses Unterfangen gewonnenen werden konnten. Vielmehr erscheint das Häuflein dieser Autoren als eine Restgröße erfahrungsresistenter Unbelehrbarer. Vielleicht ist das der Grund dafür, dass sich die Herausgeber mit einem doch recht schmalen Bändchen im Gesamtumfang von 124 Druckseiten bescheiden mussten. Neben dem Geleit- und Vorwort von Frau Merkel bzw. den Herausgebern verfertigten 10 Autoren 9 Beiträge, die im Durchschnitt jeweils etwa 12 Seiten umfassen. Politikwissenschaftlicher Tiefgang sieht eingedenk der sie thematisch hochtrabend zierenden Überschriften anders aus.

    Insgesamt vermittelt dieser Band im Ergebnis m.E. gerade nicht den Eindruck, eine „Festschrift“ zu sein. Ihn als ‚Nekrolog‘ zu bezeichnen, scheint mir angemessener:
    Nekrolog „ ist eine Würdigung des Lebenswerkes eines kürzlich Verstorbenen. Nekrolog bezeichnet auch eine Sammlung solcher Würdigungen.“ (wikipedia)
    In diesem hier zu übertragenden Sinne kommt er, wie mir scheint, vielmehr daher als die Buchbindersynthese einer Ansammlung von schablonenhaften Worthülsen und stereotypen Sätzen, wie sie sonst nur in Nachrufen und Grabreden gang und gäbe sind.

  2. In der Zeit tituliert Peter Gaehtgens soeben nur schwach effektheischend „Ramschware Dr. med.?“, um dann die medizinische Dissertation unter dem „fachspezifischen Blickwinkel“ von aller Sünde und insbesondere „den bissigen Kommentaren der Öffentlichkeit“ freizusprechen (Hallelulja!).

    Das freut bestimmt auch den Dr. min. (ministerialis oder wahlweise minimalis). Vom „fachspezifischen Blickwinkel“ haben wir ja bereits des Öfteren gehört und gelesen, das ist so 2014 wie die nicht so feste Festschrift. Den negativen Bescheid dieses Winkels durch das VG scheint aber nicht zuletzt Peter Gaehtgens aufgrund seines Blickwinkels großzügig übersehen zu haben…?

    Da ist die Festschrift für Annette das 2014er analoge Pendant zum eigenen YouTube-Kanal mit genau einer Abonnentin sowie gerade einem hochgeladenen und ziemlich verwackelten Hoch-Zeits-Video. Wenn es denn wenigstens ein Katzenvideo gewesen wäre…

  3. Pingback: Longreads: Phantasie und Plagiat | Erbloggtes

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..