Schavan: Plagiat für Anfänger. Ein kleiner Leitfaden

So. Und wieder haben wir eine Seite gefüllt. 89 Seiten jetzt schon … erst … Mühsam, mühsam. Und das liegt gar nicht an der urtümlichen Kugelkopf-Schreibmaskugelkopfchine, die wir bei unserer lieben, alten Muhme Rumfrömmpel ausgegraben haben. Sondern es liegt daran, dass wir noch so etwa 200 Seiten mindestens füllen müssen, damit man das dann eine Doktorarbeit nennen kann. Mit Text. Fußnoten. Allem, was dazugehört. Und es liegt daran, dass uns ständig so viel einfällt zum Thema. Auf dem Tisch stapeln sich all diese öden Bücher, die irgendwelche Typen mal geschrieben haben. Und jedesmal, wenn wir in einer dieser Schwarten blättern, fällt uns ein: Mist, das hätte uns doch auch einfallen können.

Ansonsten fällt uns nicht so viel ein. Und jetzt sind wir also auf der Seite 90 unseres genialen Werks angekommen. Das Kapitel handelt von Alfred Adler, und immerhin haben wir uns gerade mit Kind und Eltern und Tier und so in der komplexen Gesellschaft beschäftigt. Das kommt schon ganz gut. Aber das ist jetzt wieder voll der Horror, wie jedesmal: Neue Seite. Riesengroß und weiß und leer starrt uns das in die Maschine eingespannte frische Blatt Papier an. Wir fühlen uns gar nicht frisch.

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Wie sollen wir das jemals vollkriegen?

Lass mal da noch mal nachgucken. Jacoby hier, was meint der denn dazu. Ach so, ja: „Die Unzulänglichkeit ist die Ausgangsposition jedes Menschen, beginnt doch seine Laufbahn in einem Zustand der Hilflosigkeit.“ Ist doch gut. Das nehmen wir.

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So, schon mal ein Anfang. Wie geht’s weiter bei Jacoby? „Sein frühes Erlebnis ist, daß es nicht tun kann, was Erwachsene oder größere Kinder um es herum tun, seine Bewegungen sind der Versuch, ein Gefühl der Ohnmacht zu überwinden.“ Ja, schon klar:

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Oh, und dann hat Jacoby noch ein passendes Zitat von Adler: „Jedes Kind ist dadurch, daß es in die Umgebung von Erwachsenen gesetzt ist, verleitet, sich als klein und schwach zu betrachten, sich als unzulänglich, minderwertig einzuschätzen.“ Nehmen wir.

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Fußnote setzen! Schließlich wollen wir unsere Quellen ja nicht verschweigen:

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Na, allmählich wird das doch. Diese Quellenangaben in den Fußnoten müssen sehr genau geschrieben werden, mit allem drum und dran. Also zum Titel gehört dann auch der Ort angegeben: Leibzig, dann das Jahr. Die Auflagenziffer stellen wir höher, mit der Kugelkopf kein Problem. Dann die Seitenangabe. Auf diese Angaben in den Fußnoten schauen die Prüfer schon mal, deshalb kann es sich lohnen, das nochmal zu checken. Bei Jacoby war das hier zum Beispiel jetzt nicht so ganz richtig gewesen.

Zeit für eine Auflockerung. Mal etwas weg von der Vorlage zwischendurch, das ist wichtig. Also was stand da zuletzt? “Jedes Kind ist dadurch, daß es in die Umgebung von Erwachsenen gesetzt ist, verleitet, sich als klein und schwach zu betrachten, sich als unzulänglich, minderwertig einzuschätzen.”

Na, daraus leiten wir doch rasch eine tolle tiefere Erkenntnis ab:  Das Kind ist dazu verleitet, sich als minderwertig einzuschätzen – daraus entsteht ein Gefühl der Minderwertigkeit! Und das betrifft jedes Kind – also nicht nur vereinzelt! Jedes Kind ist irgendwie auch Mensch, und wir Menschen waren alle auch mal Kinder. Also allgemein menschlich! Toll. So wird das was. Und an ein passendes Zitat von Meister Adler erinnern wir uns auch noch. Haben wir notiert. Notiz haben wir gefunden. Wow!

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Wie geht’s weiter? – Ah, da kommt wieder was bei Jacoby, das ist sehr brauchbar. „Das Minderwertigkeitsgefühl wird nicht unmittelbar als solches wahrgenommen – erst zu einem späteren Zeitpunkt kann es in reflektierender Weise bewußt werden -, es ist vielmehr eine Gefühlslage, die entsteht, wo Angestrebtes nicht mit eigenen Kräften erreichbar zu sein scheint.“ Das nehmen wir  mit dazu.

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Eine Fußnote setzen wir da auch noch:

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Gemerkt? In dieser Fußnote verweisen wir jetzt natürlich nicht auf Jacoby, sondern stellen nochmal unter Beweis, wie gut wir uns selbst in der Sache mit Adler auskennen: Für das Minderwertigkeitsgefühl ausschlaggebend ist das Gefühl der Minderwertigkeit.

Die Seite sieht schon ganz gut aus. Jacoby gibt im Moment auch nicht mehr viel her. Aber Nuttin ist gut. Kleine Überleitung nur, aber schön markante Formulierung, die zitieren wir natürlich mit korrektem Nachweis in der Fußnote:

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Weiter mit Nowak. Was schreibt Nowak? „In dieser Sicht erweist sich aber das Geltungsstreben als ein Doppelphänomen. Es ist einmal eine seelische Reaktion auf ein Minderwertigkeitsgefühl, eine Kompensation; andererseits zeigt sich, daß hinter dem Geltungsstreben eine seelische Urkraft steht. Die Kompensation im Adlerschen Sinne ist nicht bloß eine Reaktion, sondern auch als Ausstrahlung einer seelischen Urenergie aufzufassen, die nach Selbstwert und Selbstverwirklichung tendiert.“ Und dann: „Dieser Drang des Selbsterhaltungstriebes zur Persönlichkeitsbehauptung ist der Grundtrieb in der Individualpsychologie.“ Schon gut irgendwie, aber auch ziemlich markant. Das können wir auf keinen Fall so lassen. Hier ist also Kleinarbeit angesagt: Zusammenstreichen, in der Anordnung ein bisschen verändern, dann geht’s.

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Bei Nowak steht dann auch gleich dieses toll passende Adler-Zitat: „Aber diese Minderwertigkeit, die ihm anhaftet, die ihm als Gefühl des Verkürztseins und der Unsicherheit zum Bewußtsein kommt, wirkt als ein fortwährender Reiz, einen Weg ausfindig zu machen, um die Anpassung an dieses Leben zu bewerkstelligen, vorzusorgen, sich Situationen zu schaffen, wo die Nachteile der menschlichen Stellung in der Natur ausgeglichen erscheinen.“  Jau, passt supergut. Allerdings haben wir das Gefühl, dass etwas Verkürztsein hier angesagt ist. Das ist aber rasch gemacht und sieht dann so aus:

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Und – Wahnsinn! Fertig ist unsere Seite 90! Mit Fußnoten und allem, was dazugehört! Aber wir haben auch gemerkt: Leicht ist das nicht, eine Doktorarbeit zu schreiben. Es ist eine unheimliche Sucherei und viel, viel Kleinarbeit.

Ach ja: Für eine Fußnote, in der wir Jacoby oder Nowak erwähnen können, war auf der Seite leider kein Platz mehr, hihi.

Also weiter, denn jetzt sind wir schon auf Seite 91.

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Boah, was für ein Horror. Echt jetzt. – Aber wir schaffen das schon.

absatz

16 Antworten zu “Schavan: Plagiat für Anfänger. Ein kleiner Leitfaden

  1. Pingback: Dr. weg. Schavan muss gehen | Erbloggtes

  2. Was heißt eigentlich „Muhmse Rummfrömmpel“? Schöne Worte auf jeden Fall, so etwa wie Knallhalla. Ich lerne bei Euch endlich mal richtiges Deutsch.

    • Aber da helfen wir doch gerne. Deshalb machen wir das doch alles. Dafür sind wir da. Mit großzügiger Unterstützung des Bundesministeriums für Bildung und Forschheit (BMBF).

      „Muhmse Rummfrömmpel“ heißt so aber gar nichts. Gibt’s nicht. Steht da so auch nicht. Jaja. Sicher nur ein Ausrutscher, denn insgesamt ist unsere Lesefähigkeit dank der großen Buchstabensuppenexundhoppinitiative des BMBF von 12,3% im Jahr 1803 (ohne damals unter französischer Herrschaft stehende Gebiete) auf 82,7% im Jahr 2011 gestiegen. Also lesen wir das jetzt noch mal gemeinsam:

      M-u-h-m-e – – R-u-m-f-r-ö-m-m-p-e-l

      Ja geht doch! Eine „Muhme“ ist so etwas wie ein „Ohm“, nur eben andersrum. Die meisten Menschen haben Muhmen. Manchmal haben auch andere Leute als Menschen eine Muhme, die hat dann einen lustigen Namen. Unsere Muhme heißt fast genauso, nur ein ganz klein wenig anders, weil sie eben ist, wie sie ist und macht, was sie macht. Sie hängt zum Beispiel nicht den ganzen Tag nur irgendwie so rum.

      Puh. Bildungsarbeit ist in der Praxis aber auch ’ne Herausforderung. Vielleicht könnte das BMBF seine Zuweisungen doch noch mal aufstocken, wenn jetzt noch mehr so Anfragen kommen.

  3. Hmja. Ich zitiere mal die Zitierregeln des Leitfadens von 1978, hier entnommen aus https://causaschavan.wordpress.com/2013/02/03/schavan-wie-sie-zitieren-musste-warum-sie-zittern-muss/ : „9. Quellenangaben bei Zitaten aus erster und aus zweiter Hand[:] Zitiert wird grundsätzlich der Originaltext, nicht die Sekundärschrift, aus der u.U. das Zitat entnommen ist.“ Genau das hat Schavan in den hier vorgeführten Beispielen gemacht. Dass sie tatsächlich den Originaltext eingesehen (und nicht nur so getan hat) wird z. B. in ihrer Korrektur der Literaturangabe beim 4. Beispiel deutlich. Natürlich hätte man auch Fußnoten nach Muster „Adler …, vgl. dazu auch Jacoby …“ stricken können. Man hat das aber in Zeiten der Kugelkopfschreibmaschine tatsächlich üblicherweise nicht getan. Und selbst in Zeiten der frühen PCs habe ich für derartige Fußnoten negatives Feedback bekommen (sinngemäß: „blähen sie ihre Fußnoten doch nicht so unnötig auf, es reicht völlig, wenn sie hier den Originaltext zitieren“). Kurz: Ich habe aus wirklich gutem Grund und mit außerordentlichem Vergnügen dazu beigetragen, den Plagiator Guttenberg zu flambieren. Die Vorwürfe gegen Schavan, so wie sie hier beispielhaft vorgeführt werden, sind aus meiner Sicht aber haltlos.

    • Interessanter Ansatz. Übersieht allerdings, dass es bei dieser Regel nur um die Frage des Umgangs mit Zitaten aus einer Primärschrift (A) geht, auf die man in einer Sekundärschrift (B) gestoßen ist. Da sagt die Regel: Wenn man so ein Zitat nehmen will, dann muss man es bei (A) aufsuchen und von dort übernehmen. Nur wenn (A) nicht verfügbar ist, darf man dieses Zitat aus (B) übernehmen, muss dann aber sagen: „(A), zitiert nach (B).“ Soweit, so banal. Das ist hier aber auch gar nicht das Problem.

      Schavan erweckt den Eindruck, sie hätte sich hier direkt in Alfred Adler vertieft und alles selbst geleistet. Motto: „Alfred und ich allein im Zimmer“. Neben den Primärschriften von Adler kommt in ihren Fußnoten als einzige Sekundärschrift Nuttin vor, den sie aber nur für zwei Zeilen braucht. Im übrigen soll alles auf dieser Seite auf ihrem Mist gewachsen sein: Eigener Text zu Adler, eigene Auswahl der Zitate, also eigene Gedankenarbeit auf der Grundlage eigener umfassender Lektüre als Beweis für die eigene Beherrschung des Materials und der Sache. In Wahrheit hat sie sich aber außer einem auffällig schlicht gestrickten Einschub und zwei Zeilen Nuttin alles auf dieser Seite aus Jacoby und Nowak gezogen und leicht zusammengekämmt. Kein Hinweis auf Jacoby. Kein Hinweis auf Nowak.

      Natürlich ist das mit Guttenberg nicht zu vergleichen. Guttenberg war ein ungewöhnlich primitives Plagiat. Schavan hat sich mehr Mühe gegeben.

      • Könnte es sein, dass Sie wenig Erfahrung mit geisteswissenschaftlichen Texten haben? Grundlegende Elemente geisteswissenschaftlicher Arbeiten sind, sehr verkürzt gesagt, 1. den Forschungsstand zu referieren, 2. anhand des bzw. in Abgrenzung vom Forschungsstand eigene Gedankengänge zu entwickeln. Den Forschungsstand referiert man gewöhnlich mittels einer Paraphrase, die sich in der Verwendung zentraler Begriffe wie auch in der Argumentationabfolge eng an den Ursprungsstext (hier: insbesondere Adler) anlehnt. Der Variabilität derartiger Paraphrasen sind entsprechend enge Grenzen gesetzt.

        Ohne Schavans Dissertation im Volltext zu kennen meine ich auf der hier analysierten S.90 eine solche Forschungsstands-Paraphrase zu erkennen. Ob Schavan ihre Adler-Paraphrase nun a) allein anhand von Jacoby, b) allein anhand von Adler, oder c) anhand einer kombinierten Lektüre Adlers und Jacobys entwickelte, läßt sich anhand des vorgeführten Textes nicht umfassend entscheiden. Die Korrektur der Literaturangabe im 4. Beispiel belegt jedoch, daß sie zumindest in diesem Fall definitiv mit der Originalquelle arbeitete. Variante a) [Schavan referiert nach Jacoby, ohne Adler herangezogen zu haben, verschleiert das jedoch in ihren Anmerkungen] ist also zumindest bei diesem Beispiel vom Tisch. Variante b) [Schavan referiert Adler anhand von Adler, ohne Jacoby zu kennen oder herangezogen zu haben] ist möglich, da die Paraphrasen von Schavan und von Jacoby zwar übereinstimmende Schlüsselbegriffe und Gedankengänge enthalten, diese Übereinstimmungen aber durchgängig dem in den Fußnoten genannten Referenztext (Adler) entnommen sind. Und Variante c) [Schavan hat sowohl Jacoby wie Adler herangezogen, aber dennoch nur Adler, weil Primärtext, zitiert] ist von den Zitierregeln ihrer Fakultät explizit gedeckt. Ich bleibe daher bei meiner Einschätzung: Kein Plagiat, sondern lege artis.

      • Eher nicht. Wenn man eine Beschreibung „grundlegender Elemente geisteswissenschaftlichen Arbeitens“ schon derart verkürzt, dass der Forschungsstand „gewöhnlich mittels einer Paraphrase“ referiert wird … Nein.

        Schavan macht das allerdings wirklich weitgehend so, und das ist ja vielleicht sogar eine Quelle des Problems: Sie kommt nicht von ihren Vorlagen weg, aber sie will so tun als ob. Deswegen nennt sie auch weder Jacoby noch Nowak. Natürlich benutzt sie auf dieser Seite auch die Primärschriften. Vor allem schaut sie nach, ob da auch wirklich alles so drin steht wie bei Jacoby. Wenn man das schon „mit der Originalquelle arbeiten“ nennen will … Und so zieht sich das eben durch dieses und weitere Kapitel durch, zu besichtigen auf schavanplag. „Lege artis“ – in welcher Kunst?

        Übrigens ist es gar nicht richtig, dass sich das von Jacoby Übernommene alles ganz entsprechend auch schon bei Adler findet. Und bei ihrer Fledderung von Nowak übersieht Schavan sogar, dass Nowak aus einer Schrift von Adler zitiert, die sie selbst nirgendwo erwähnt. Ziemlich peinlich, und offensichtlich doch nicht „lege artis“. Variante b) („allein von Adler“) kann man also getrost vergessen. Es ist Variante c), aber in einer ziemlich traurigen Spielart.

  4. Dieses Blog entzückt mich sehr. So sehr, dass ich den halben Nachmittag lang daran kleben blieb. Allerdings bin ich auch mistrauisch geworden, weil es so gut gemacht ist, dass es eigentlich nur geklaut sein kann. Irgendwie, irgendwo, irgendwann.

    • Mist! Erwischt!
      Jetzt werden wir wohl zurücktreten müssen.

      • Hab ichs doch gewusst! Sie schnüffelt meist richtig, meine Spürnase. Aber keine Sorge, Simone G., ich halte dicht. Solange man mir nicht in die Quere kommt, will ich auch anderen Karrieren nicht im Weg stehen; wertebewusste Unionisten wie wir müssen zusammenhalten! Und der Herrgott drückt auch gerne mal ein Auge zu. Wie war nochmal das oberste Gebot? „Was niemand weiß macht keinen heiß“, glaub ich.

  5. Pingback: Sind abschlußlose Doktortitel kirchlich besetzter Philosophielehrstühle anstrengungslose ‘honeypots” für den geistlichen Nachwuchs der religiösen Klasse Deutschlands? « Moment Mal

  6. Reblogged this on Rund um den Kabinettstisch und kommentierte:
    Hach, so geht analytisch-systematisches wissenschaftliches Arbeiten. Danke für diesen ausnehmend amüsant-erhellenden Beitrag.

    Beste Grüße aus Germanys next Bundeskabinett,
    die Social Secretary

  7. Pingback: Kannste Abschreiben | KneipenLog

  8. Aufrüttelnd! In diesem Film werden genau die richtigen Fragen gestellt und genau die richtigen Schlüsse gezogen:

  9. Pingback: Schavan verliert Doktortitel - Seite 5

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