Bericht von einer Akademie, Teil 2: Info für Entwicklungshelfer

Fast drei Jahre nach ihrer Einrichtung hat die Interdisziplinäre Arbeitsgruppe „Zitat und Paraphrase“ an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften plangemäß einen Sammelband mit Ergebnissen ihrer Forschungen vorgelegt. Man muss den Ertrag dieses Bandes über “Zitat, Paraphrase, Plagiat. Wissenschaft zwischen guter Praxis und Fehlverhalten” nicht unbedingt am Problemaufriss und Arbeitsprogramm des IAG-Antrags messen, um gehörig ins Grübeln zu kommen. Es genügt, zur Kenntnis zu nehmen, auf welchem Anspruch die Herausgeber Christoph Markschies und Christiane Lahusen in ihrem Vorwort beharren, nachdem sie feststellen mussten, dass eine „vollständige Aufarbeitung der diversen Probleme“ nicht möglich war:

Die Beiträge des Bandes sollen […] notwendige historische, soziologische und wissenschaftstheoretische Informationen bereitstellen, um in Zukunft auch in Deutschland das Problem von wissenschaftlichem Fehlverhalten auf einem Niveau zu bearbeiten, das mindestens dem anderer europäischer Länder vergleichbar ist.
Zitat, Paraphrase, Plagiat, S. 9-10

Dieses besondere deutsche Elend hatten wir bislang noch gar nicht bemerkt. Und welche anderen Länder das wohl sein mögen, in denen Fehlverhalten so niveauvoll bearbeitet wird? Das Königreich Schweden, für das sich die IAG besonders interessiert hat, kann man als Vorbild offenbar vergessen. Frankreich, Spanien vielleicht? Rumänien, oder am Ende gar Österreich? Da wird sich das wissenschaftliche Deutschland sehr anstrengen müssen. Doch was es braucht, um in Zukunft wenigstens vergleichbar zu sein, das findet es ab sofort in diesem Band.

Disziplinen I: Optimierung der Wörterbücher

Die einzelnen Beiträge des Bandes können hier nur kursorisch und nicht allesamt gewürdigt werden. Eröffnet wird mit „Disziplinen“, also der Auffassung und Handhabung der Zitation in verschiedenen Feldern der Wissenschaft. In der Verteidigungsstrategie für Annette Schavan war dies bekanntlich ein zentrales Argument, das auch im IAG-Antrag gebührend zur Geltung kam: Den auf komplizierte Weise unterschiedlichen Gebräuchlichkeiten war nachzuspüren, und zwar möglichst in ihrem „dynamischen Wandel“. In Düsseldorf hatte man dies sträflich unterlassen. Auf einer Tagung des Wissenschaftsrats machte das IAG-Mitglied Philipp Theisohn im Juli 2013 vor, wie es ging: Man musste sich der Mühe unterziehen, beispielsweise

wahllos 25 pädagogische Dissertationen aus dem Zeitraum der Jahre 1975-1982 stichprobenartig anzulesen [1]

und schon verschwamm der Plagiatsvorwurf gegen eine ehemalige Ministerin im allgemeinen Gewölk der disziplinspezifischen Historizität. Doch diese wegweisenden Forschungsergebnisse aus der IAG „Zitat und Paraphrase“ konnten zwar, mit hilfreichen Ergänzungen versehen, Schavan zum gefälligen Gebrauch in ihrem Rechtsstreit mit der Universität zur Verfügung gestellt werden; [2] auf ihren Abdruck in diesem Band aber hat man verzichtet.

Die hier versammelten Beiträge geben demgegenüber wenig her für einen behaupteten grundsätzlichen Klärungsbedarf angesichts aktueller Plagiatsdebatten. Auch ein Katalog der Gemeinsamkeiten und fachlichen Eigenarten im Panorama der Disziplinen wird nur in Ausschnitten sichtbar, die zudem mitunter eher eng gewählt sind oder im Historischen verbleiben. Informativ sind im gesteckten Rahmen die Beiträge von Peter Gaehtgens (Medizin), Ferdinand Hucho und nicht zuletzt Randolf Menzel (Naturwissenschaften), anregend ferner Wolfgang Klein aus der Perspektive der Linguistik, wobei der Fokus auf der Lexikographie liegt. Hier lasse sich zeigen, dass das Plagiat der Wissenschaft nützlich sei, denn:

Das beste Wörterbuch könnte man schaffen, wenn alle bisherigen Wörterbücher Gemeingut wären. Da das nicht der Fall ist, wird faktisch bis zu einem gewissen Maß plagiiert, und das ist für die Sache gut.
Zitat, Paraphrase, Plagiat, S. 81-82

Das gelte nicht nur für die Lexikographie, sondern

immer dann, wenn es darauf ankommt, das von wem auch immer gefundene Wissen zusammenzuführen und zum Wissen vieler zu machen.
Zitat, Paraphrase, Plagiat, S. 82

Hat Annette Schavan also der Wissenschaft einen nützlichen Dienst erwiesen, als sie das Wissen, das wer auch immer in den Werken von wem auch immer gefunden hatte, zusammenführte und zum Wissen vieler machte? Gegenstand, Form und Funktion der Eintragsinformationen eines Wörterbuchs sind dann vielleicht doch recht speziell. Sie haben wenig gemein mit einem monographischen Versuch, „Gewissenstheorien zu referieren und nach ihrer Bedeutung für die Gewissensbildung zu fragen.“ [1]

Klein sieht im Plagiat keinen Schaden für die Wissenschaft: Einen Schaden bedeute es nur für den einzelnen Wissenschaftler, der sich plagiiert finde. Insoweit wäre Schavan wohl aus dem Schneider, denn es fand sich in ihrem Fall ja niemand, der sich geschädigt fühlte. Doch betrachtet Klein das Problem keineswegs allein in einer Schaden-Nutzen-Relation: Wenn Leistungen vorgetäuscht werden, die nicht erbracht wurden, dann ist das

Betrug und muss sanktioniert werden, durch die Justiz oder, wo dies nicht möglich ist, durch allgemeine Verachtung.
Zitat, Paraphrase, Plagiat, S. 81

In der Realität des Wissenschaftsbetriebs zeigt sich für die Sanktionierung eines solchen Delikts allerdings für gewöhnlich keine dieser Instanzen zuständig.

Disziplinen II: Ermessen

Rainer Maria Kiesow behandelt in seinem reichlich sprunghaften Beitrag zwar irgendwie „das Recht“, aber im sachlichen Kern beschränkt sich das eigentlich auf die Mitteilung, dass bei Plagiaten im Bereich der Wissenschaft weniger das Urheber- als das Verwaltungsrecht in Betracht kommt und dass in der Juristerei solche Textsorten wie Gesetze, Verordnungen, Erlasse, Urteile stets einfach „plagiiert“ werden, da sie nicht unter urheberrechtlichem Schutz stehen. Zwischendrin referiert und kommentiert Kiesow die Urteile der Verwaltungsgerichte in den Plagiatsfällen Veronika Saß und Annette Schavan, bevor er noch ein wenig von Anatole France erzählen muss, der im späten 19. Jahrhundert eine zweibändige Apologie pour le plagiat verfasste.

Eine ernstzunehmende Erörterung des Problems des Plagiats, und des Umgangs mit diesem Problem, im Recht oder auch nur in der Rechtsprechung ist das nicht. Und Kiesow schafft es noch nicht einmal, die beiden einzigen Urteile, mit denen er sich konkret beschäftigt, im Wesentlichen präzise wiederzugeben. Das Urteil im Fall Schavan ist nicht nur falsch datiert, sondern in einem wichtigen Punkt geradezu irreführend beschrieben:

Die einzelnen (Plagiats-) Stellen werden geprüft, wobei das Gericht immer wieder darauf hinweist, dass es sich bei der Aberkennungsentscheidung der Universität um eine Ermessensentscheidung handelt und somit überprüfbar nur die Ausübung des Ermessens(raumes) ist, nicht etwa die Entscheidung selbst.
Zitat, Paraphrase, Plagiat, S. 63

Das Verwaltungsgericht Düsseldorf gibt jedoch bei der Prüfung der einzelnen Plagiatsstellen, die sich im Urteil über mehrere Seiten erstreckt, nirgendwo einen derartigen Hinweis. Vielmehr vollzieht die richterliche Sachprüfung die Bewertung der einzelnen Plagiatsstellen durch die Fakultät nach und bestätigt sie, ergänzt sie sogar durch eigene Feststellungen. Bemerkenswert an diesem Urteil ist ja gerade, dass es verdeutlicht, dass sehr wohl auch „die Entscheidung selbst“ gerichtlich überprüfbar ist, besser gesagt: die Tatsachengrundlage, auf der die Entscheidung beruht. So heißt es im Düsseldorfer Urteil:

Der Fakultätsrat hat sein Ermessen in dem rechtlich gebotenen Umfang ausgeübt. […] Die Ermessensausübung […] lässt auch im Übrigen keine Ermessensfehler erkennen. Der Fakultätsrat ist insbesondere von einer richtigen, auf der Grundlage des Berichts von Prof. Dr. [Rohrbacher] und der Stellungnahmen der Klägerin vollständig ermittelten Tatsachengrundlage ausgegangen, er hat alle widerstreitenden öffentlichen und privaten Interessen umfassend gewürdigt und gegeneinander abgewogen und hierbei auch in der Sache zutreffende Rechtsauffassungen zugrunde gelegt.

Denn all dies berührt den Bereich des Ermessens. Kiesow vermittelt dagegen ein verkürztes Verständnis der Ermessensentscheidung und ihrer richterlichen Überprüfung. So wird in diesem Beitrag eines Juristen einmal mehr die verbreitete Fehlauffassung bestätigt, dass es vor Gericht nur um „Formalien“ des Verwaltungsverfahrens und nicht um „Inhalte“ gehen könne.

Disziplinen III: Noch mehr Disziplin

Allzu eindrucksvoll nimmt sich der Aufmarsch der Disziplinen in diesem Teil des Bandes also bislang nicht aus. Aber wir sind mit unserer Wissenschaft ja noch nicht am Ende. Da ist ja noch der Beitrag von Rainer Hank. Vor Jahrzehnten, als Annette Schavan beim Cusanuswerk als Referentin tätig war, und Honnefelder das Cusanuswerk leitete, bevor dann Schavan das Cusanuswerk leitete, während  Braungart das Cusanuswerk erst später leitete, da war auch Hank beim Cusanuswerk als Referent tätig. Es gingen die Zeiten ins Land, doch an der Wende des Jahres 2012/2013 fand man sich wieder, vereint im gemeinsamen Interesse an Paraphrasen, die keine Plagiate waren. Hank ist allerdings Wirtschaftsjournalist, weshalb seine Mitwirkung an einer IAG der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, die sich mit Zitat und Paraphrase in der Wissenschaft befasst, unbedingt als Bereicherung zu verstehen ist.

Im „Disziplinen“-Teil dieses Bandes über „Wissenschaft zwischen guter Praxis und Fehlverhalten“ darf Hank erzählen, wie Journalisten zitieren oder auch nicht zitieren.

Konfrontationsabschnitte

Vieles von dem, was hier einzuwenden ist, zeugt in erster Linie von dem Unvermögen oder der Unlust der Herausgeber, diesem Band eine überzeugende Aufgabe zuzuweisen und ihm ein stimmiges Konzept zu verpassen. So folgen auf die „Disziplinen“, zu denen neben den Naturwissenschaften und den Gerichtsurteilen auch der Journalismus zählt, nun die „Wissenschaftskulturen“, deren erste in der historischen Disziplin zu finden ist. Ferner gibt es zwei weitere Kulturen: Die Grammatik unter besonderer Berücksichtigung von Karl Philipp Moritz sowie England.

Die aufschlussreichen Ausführungen von Wolfgang Neugebauer über die zögerliche und alles andere als linear verlaufene Entwicklung einer „Belegkultur“ in den historischen Wissenschaften des 19. und frühen 20. Jahrhunderts richten besonderes Augenmerk auf den selbständigen Zugriff des Forschers auf die Quellen, der erst errungen sein wollte. Die Feststellung, dass moderne Zitierstandards „eine Folge der Demokratisierung des Zugangs zu Archiven und Sammlungen“ seien, führt allerdings zu einem Fazit, das wahrlich weit ausgreift:

Ein Verstoß gegen diese Normen ist ein Anschlag auf die moderne und liberale politische Kultur.
Zitat, Paraphrase, Plagiat, S. 105

Aufschlussreich ist auch die Selbstverständlichkeit, mit der Ute Tintemann in ihrem Karl-Philipp-Moritz-Beitrag zur Verdeutlichung von Textparallelen auf eben jene „Konfrontationsabschnitte“ zurückgreift, die Theisohn im Juli 2013 noch als Inbegriff der manipulativen Suggestion galten.

Geistschreiben

Wenn man nicht weiß, wie man seiner Leserschaft das Sammelsurium an Texten geordnet präsentieren soll, die im Laufe zweieinhalbjähriger Bemühungen auf der Grundlage eines ebenso behauptungsreichen wie substanzarmen „Forschungsprogramms“ aufgelaufen sind, dann empfiehlt sich die Bildung von Begriffspaaren oder -dreiheiten, die von systematisiertem Tiefsinn künden. „Gelehrsamkeit – Originalität – Eigenleistung“ ist eine solche Dreiheit, „Wissenschaftsethik – Urheberrecht“ eine Paarung.

Am besten aber gefällt uns „Reputation – Macht“. Unter einer solchen Rubrik dürfen wir Grundsätzliches, Kritisches zu Anspruch und Realität eines Wissenschaftsbetriebs zwischen guter Praxis und Fehlverhalten erwarten. Doch weit gefehlt. Der unterhaltsame Beitrag von Benjamin Lahusen widmet sich der Eintragung von Doktorgraden in Personalausweise, und Dagmar Simon liefert eine kritische Evaluation des Evaluationswesens an deutschen Universitäten. Das ist allgemein dankenswert, aber im thematischen Zusammenhang des Bandes nicht unmittelbar hilfreich. Und auch der Beitrag von Christoph Markschies, den wir in der Vortragsversion bereits genießen durften, erfüllt hier trotz der Erkenntniswertbeteuerungen seines Autors keine allzu deutlich erkennbare Funktion. Die seltsamen Rechtfertigungs- und Vernebelungsfiguren, mit denen Markschies seine Akademievorlesung eröffnete, bleiben uns diesmal immerhin erspart.

Gern liest man davon, wie sich dereinst, um 1900, deutsche Professoren mit Plagiatsvorwürfen und anderen Liebenswürdigkeiten traktierten (Reinold Schmücker). Gern folgt man den persönlich gehaltenen Ausführungen von Jürgen Trabant über das wissenschaftliche fading. Sehr leichtfüßig kommt dagegen der Beitrag von Christiane Lahusen über das „Ghostwriting“ daher. Eine seriöse Betrachtung der Initiative des Deutschen Hochschulverbandes, solchen Wissenschaftsbetrug mit den Mitteln des Strafrechts einzudämmen, liegt aus juristischer Sicht mit einem Aufsatz von Ingke Goeckenjan (2013) bereits vor. Lahusen hätte ihn durchaus gründlicher rezipieren dürfen. Auch muss man den professoralen Standesvertretern wohl nicht unbedingt „Selbstgefälligkeit“ und „intellektuelle Erosion“ im „Biotop der wissenschaftlichen Bedeutungslosigkeit“ bescheinigen, in dem man sich „an den Universitäten […] mittlerweile gemütlich eingerichtet hat“ (S. 160), um den Vorschlag des DHV als verfehlt abzulehnen.

Lauterkeit im Wettbewerb

An welchem rechtlichen Referenzrahmen soll sich der Umgang mit wissenschaftlichem Fehlverhalten orientieren? Alexander Peukert, der eine „geradezu obsessive Begeisterung der wissenschaftsrechtlichen und -ethischen Diskussion für den Plagiatsbegriff“ festgestellt haben will (S. 262), empfiehlt den Verzicht auf diesen Begriff, weil man sich damit Vorstellungen aus dem Bereich des Urheberrechts einhandle. In der Tat ist das Urheberrecht nur sehr bedingt relevant, wenn es um Plagiate in der Wissenschaft geht. Allerdings fällt es nicht leicht, empirisch nachzuvollziehen, dass sich durch die Verwendung des Plagiatsbegriffs in wissenschaftsrechtlichen Auseinandersetzungen der Blickwinkel auf die Individualinteressen des Plagiierten verengt hat, wie Peukert meint (S. 267). Auch ist der Begriff ja keineswegs durch seine urheberrechtliche Verwendung auch wissenschaftsrechtlich bereits gültig geprägt, geschweige denn normiert.

Ungeachtet solcher Einwände ist die Überlegung, besser auf das Gebot wissenschaftlicher Redlichkeit als auf den Schutz geistiger Eigentumsrechte abzustellen, nachvollziehbar und entspricht tatsächlich auch einer bereits eingetretenen Entwicklung. Der Wirtschaftsrechtler Peukert unterstreicht die strukturellen und teleologischen Parallelen des Wissenschaftsrechts und des Lauterkeitsrechts, an dem man sich bei der Entwicklung von Normen wissenschaftlicher Redlichkeit deshalb eher orientieren solle als am Urheberrecht, warnt allerdings davor, bestehende Unterschiede zu übersehen: Es müsse

die spezifische normative Eigenlogik der Wissenschaft stets im Zentrum der wissenschaftsrechtlichen Beurteilung stehen. Lauterkeitsrechtliche Konzepte sollten nur insoweit übernommen werden, als sie mit dieser Eigenlogik kompatibel sind und nicht zu einer dysfunktionalen Ökonomisierung der Wissenschaft führen.
Zitat, Paraphrase, Plagiat, S. 275

Denn das Lauterkeitsrecht ist Teil des Wettbewerbsrechts.

Übergriffe

„Strukturen“ gibt es auch. Hierhin gehören aus irgendwelchen Gründen die knappen, instruktiven Ausführungen von Stefan Hornbostel zur Bibliometrie als einer Spielart mathematisierter Vermessung von Wissenschaft. Hierhin gehört auch Schweden, weil dort Strukturen aufgebrochen werden. Und hierhin gehören die Wissenschaftsorganisationen. Matthias Kleiner war bis in die Passionszeit der Annette Schavan hinein Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Heute ist er Präsident der Leibniz-Gemeinschaft. Der Beitrag über „Die Perspektive von Wissenschaftsorganisationen“, den er gemeinsam mit seiner Prädidialstabsleiterin Caroline A. Lodemann verfasst hat, wird durch ausgedehnte Betrachtungen zur Natur des Zitats an sich und ganz im Allgemeinen eröffnet. Zweifellos besonders ist dagegen die „Rolle von Wissenschaftsorganisationen und Forschungseinrichtungen“ beim Zitat. In der Perspektive von Wissenschaftsorganisationen ist es eine umfassende Rolle:

Die übergreifend verantwortlichen Institutionen und die akademische Gemeinschaft aller Lehrenden und Lernenden sind […] keineswegs nur Beobachter der wissenschaftlichen Dynamik und einzelner Fehlverhaltensfälle. Sie sind dem gesunden und fruchtbaren Wissenschaftsfundament verpflichtet und damit auch zuständig für die Frage nach dem Warum möglicher Fehlstellungen, deren Antworten Wege zur Behebung und Vorbeugung weisen.
Zitat, Paraphrase, Plagiat, S. 319

Zuletzt hatte sich solch übergreifende Verantwortung und Zuständigkeit bei der Beobachtung eines einzelnen Fehlverhaltensfalles im Januar 2013 im Fall der Ministerin Schavan gezeigt, als zunächst ein vertraulicher Brief der Hochschulrektorenkonferenz und dann eine sehr ähnlich lautende öffentliche Erklärung der Allianz der Wissenschaftsorganisationen der Universität Düsseldorf Wege zur Behebung und Vorbeugung einer möglichen Fehlstellung weisen sollten. [3]

Von der Universität wurde dieser Übergriff entschlossen abgewehrt, und auch in der Öffentlichkeit fand er kein allzu gutes Echo. Diese schmerzliche Erfahrung ist noch immer nicht verwunden, weshalb Kleiner und Lodemann nun unvermittelt auf das Promotionsrecht und die Verleihung des Doktorgrades als Verwaltungsakt der Universität zu sprechen kommen: Wenn dem Anspruch der übergreifenden Verantwortung die Zuständigkeit der Universität und das Prinzip der Hochschulautonomie entgegengehalten wird, so sticht ein solcher Einwand nicht. Denn es

sind die Mitglieder der Deutschen Forschungsgemeinschaft in erster Linie wissenschaftliche Hochschulen, und folgerichtig treibt die DFG um, was ihre Mitglieder umtreibt.
Zitat, Paraphrase, Plagiat, S. 319

Auf solche Weise lässt sich nicht nur eine übergreifende, sondern auch eine allumfassende Zuständigkeit begründen, zumal die DFG „in Aufbau und Struktur“ nun auch noch ein Abbild der Universitäten sein soll. Ihr satzungsgemäßer Vereinszweck ist demgegenüber doch sehr beschränkt. Es empfiehlt sich, zur Kenntnis zu nehmen, wie wenig beschränkt dagegen das Selbstverständnis der Funktionäre ist.

Europa

Die besondere Bedeutung dieses Bandes für die Europatauglichkeit deutscher Bearbeitung wissenschaftlichen Fehlverhaltens will sich auch nach aufmerksamer Lektüre nicht erschließen. Schon ein Neuigkeitswert lässt sich nur eingeschränkt ausmachen. Probleme und Desiderate, wie sie von Markschies, Theisohn und anderen zuhauf behauptet worden sind, werden mit Nonchalance übergangen oder erweisen sich im Vorübergehen als gegenstandslos. Wozu es diesen Band gebraucht hat – man wird es am Ende gerade so wenig wissen wie zu Beginn.

„Zitat, Paraphrase, Plagiat. Wissenschaft zwischen guter Praxis und Fehlverhalten“ dokumentiert auf denkwürdige Weise die Geschichte einer Forschergruppe an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, deren vordringliche Zweckbestimmung sich auf halbem Weg erledigt hatte: Als Zentrallabor der Plagiatsforschung für möglichst viel Qualm und Rauch und eine insgesamt günstige Lage für Annette Schavan zu sorgen, die um die Rückgewinnung ihres Doktorgrades kämpfte. Doch es musste weitergehen und ein vorzeigbares Ende finden. Und so betrieb man weiter Wissenschaft, zwischen guter Praxis und Fehlverhalten. Dazwischen, irgendwo.

6 Antworten zu “Bericht von einer Akademie, Teil 2: Info für Entwicklungshelfer

  1. Angesichts der Ergebnisse und des methodischen Vorgehens der Arbeitsgruppe bekommt der Begriff „Doppelblindversuch“ eine neue Dimension.

  2. Dr. Bernd Dammann

    Die Besprechung von wissenschaftlichen Beiträgen in Aufsatzsammlungen gehört wahrlich nicht zu den Lieblingsbeschäftigungen selbst eingefleischter Philologen. Die Rezensentin meistert die sich ihr damit stellenden Herausforderungen philologischer Kärrnerarbeit souverän und mit Bravour. Der in ihrem gedanklich wie sprachlich punktgenauen Fazit durchklingende Abgesang auf die IAG ‚Zitat und Paraphrase‘ erscheint allerdings verfrüht. Denn die beiden Herausgeber stellen in ihrem ‚Vorwort‘ bereits eine weitere versammelte öffentliche Äußerung dieser IAG der BBAW für das Jahr 2016 in Aussicht. – The show must go on.

    • Zwei Sammelbände in nur drei Jahren? Wenn das mal nicht auf die Qualität drückt! Wäre doch schade, wenn der zweite Band nicht ganz an den ersten heranreicht.

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  4. [Ihr Hinweis ist angekommen, wir haben das im Auge, vielen Dank. -red.]

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