Johanna Wanka, Annette Schavan und das absolut Ungerechte

Den Rücktritt der Bundesministerin für Forschung und Bildung, Annette Schavan, hat Kanzlerin Merkel nur „sehr schweren Herzens“ akzeptiert. Schavans Nachfolgerin im Amt, Johanna Wanka, ist das Herz ebenfalls sehr schwer. Und akzeptieren kann sie den Rücktritt ihrer Vorgängerin offenbar bis heute nicht.

In der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung erschien nun ein Interview [FAS, 9.6.2013, noch nicht online], in dem Johanna Wanka zunächst Auskunft über ihr Elternhaus, ihre Kindheit, Jugend und Laufbahn in der damaligen DDR gibt: Ein Leben zwischen dem Wunsch nach Unabhängigkeit und den Zwängen und Notwendigkeiten der Anpassung, über das die Ministerin auf sympathisch uneitle und offene Art spricht. Ihre Mutter hat die Erstklässlerin nicht zu den Jungen Pionieren gehen lassen, und die FAS setzt deshalb die „Tränen eines Bauernkinds in der DDR“ in die Überschrift. Doch in Wahrheit geht es in diesem Interview um Ernsteres.

Leider ist das Interview der Johanna Wanka aber noch in ganz anderer Hinsicht aufschlussreich. Denn die FAS-Journalisten fragen die Ministerin auch danach, wie ihr Verhältnis als Landesministerin zur damaligen Bundesministerin Schavan gewesen sei („Sehr gut. Wir waren und wir sind befreundet“), und ob denn deren Rücktritt unvermeidlich gewesen sei. Darauf Wanka:

Als die Kanzlerin mit mir sprach, habe ich als Erstes gefragt: Gibt es keinen Ausweg? Es ist unendlich traurig, und ich finde es entsetzlich und absolut ungerecht. Eigentlich ist die ganze Sache nicht zu verstehen. Es ist das, was ich in der Politik schlimm finde: dass man so behandelt werden kann.

Anders als Schavan, deren Rollenverständnis als Wissenschaftlerin im Wesentlichen von dem Funktionieren einer komplexen Simulationsanordnung und den Kräften der Autosuggestion abhängig war, ist Johanna Wanka ohne jeden Zweifel in der Wissenschaft zu Hause, genauer: In der Mathematik. Die gilt im Allgemeinen für eine „exakte Wissenschaft“, im Gegensatz etwa zu solchen angeblichen „Laberfächern“ wie den Geisteswissenschaften. Denn während Der Geist weht, wo er will, weiß man in der Mathematik immer ganz exakt, was gerade Sache ist. Ungenaues Labern kann es da nicht geben. Schließlich ist 1 plus 3 nicht so in etwa 5, sondern: 4, exakt 4 und nichts anderes als 4, und zwar jedesmal, immer und allezeit. Ja, von mathematischer Wissenschaft haben wir schon ein recht präzises Bild.

Wenn es um den Rücktritt von Annette Schavan, seine Umstände und Hintergründe geht, verzichtet die amtierende Wissenschaftsministerin allerdings auf jegliche Präzision. Statt dessen macht sie eine Rechnung mit lauter Unbekannten auf. So hat diese Rechnung denn auch kein präzise benennbares Ergebnis, sondern sie resultiert nur in einem Gefühl: Dass alles irgendwie furchtbar falsch war.

„Unendlich traurig“ sei „es“ – will wohl heißen: Dass das alles mit Schavan passiert ist. Das mag man so empfinden. Doch „es“ war auch „entsetzlich und absolut ungerecht“. Spätestens jetzt möchte man dann doch genauer wissen, wie die Mathematikerin die Größe „es“ beziffert: Dass Schavan der Doktorgrad aberkannt wurde? Oder dass sie sich deshalb genötigt sah, der Kanzlerin ihren Rücktritt anzubieten? Oder dass Angela Merkel diesen Rücktritt annahm?

„Eigentlich“ sei „die ganze Sache nicht zu verstehen“, äußert Wanka. Will die für die Wissenschaft zuständige Bundesministerin uns allen Ernstes sagen, es sei nicht zu verstehen, dass eine Fakultät einem begründeten Anfangsverdacht nachgeht – wiewohl sie auch von Schavan darum gebeten wurde? Dass sie aus einem eindeutigen Befund (vorsätzliche Täuschung durch Plagiat) eine entsprechend eindeutige Konsequenz zieht? Will Frau Ministerin Wanka uns das sagen: Dass man für eine verdiente Ministerin andere Regeln hätte finden müssen als für irgendwelche verschreckten Studentlein, denen man ihre Plagiate umstandslos um die Ohren haut?

Oder meint sie, es sei unverständlich, dass die Aberkennung des Doktorgrades wegen vorsätzlicher Täuschung für die damalige Wissenschaftsministerin die unausweichliche politische Konsequenz des Rücktritts vom Amt hatte?

Oder was?

„Dass man so behandelt werden kann“, das finde sie „in der Politik schlimm“. Doch wovon redet die Ministerin? Von wem ist „man“ (= Annette Schavan) wie behandelt worden? Meint Wanka die Art und Weise, in der „man“ „in der Politik“ von der Universität Düsseldorf behandelt werden konnte – nämlich so, wie andere Sterbliche auch? Oder meint sie die Behandlung, die der Angefochtenen in der Medienlandschaft zuteil wurde – in der keineswegs die spitze Feder, sondern der Samthandschuh das Arbeitsgerät der ersten Wahl zu sein schien? Oder will sie auf eine gehässige Kampagne der politischen Opposition verweisen – welche die geneigte Öffentlichkeit dann allerdings gründlich verschlafen haben müsste? Denn tatsächlich war es doch eine der auffälligsten Begleiterscheinungen der Causa Schavan, mit welcher bedingungslosen Bereitschaft zur Weichzeichnerei der absehbare Gesichts- und Amtsverlust der Annette Schavan von einem angeblich kritischen Journalismus begleitet wurde. Und die wenigen, eher verhaltenen Politikerstimmen, die von Schavan Konsequenzen forderten, wurden doch stets bei weitem übertönt von den vielen Freunden, die ihr aus Partei und Wissenschaftspolitik zur Seite standen und dabei allerdings wenig zimperlich waren.

All das wäre ja nicht schlimm, wenn Wanka nur eine irgendwie nette Person sein müsste. Dann könnte man es beim Verständnis für die Peinlichkeit belassen, die sie in dieser Situation gegenüber Schavan empfinden muss, mit der sie befreundet war und ist. Doch Johanna Wanka ist – wenngleich vielleicht nicht ganz allein im Haus – Bundesministerin, zuständig für die Wissenschaft. Als solche hat sie sich zum größten Wissenschaftsskandal in der Geschichte der Bundesrepublik mit fünf kurzen Sätzen geäußert. In diesen fünf kurzen Sätzen findet sich nicht ein einziges Element einer belastbaren Aussage. Statt dessen nimmt die Ministerin eine Position der umfassenden Unbedarftheit ein und insinuiert im Übrigen, dass das alles keinerlei Berechtigung habe, vielmehr „absolut ungerecht“ sei: Die Plagiatsvorwürfe, das Prüfverfahren der Universität, sein Ergebnis und dessen politische Konsequenz. Und es bleibt den Lesern dieses Interviews überlassen, wen sie für all das Traurige, Entsetzliche und absolut Ungerechte verantwortlich halten wollen.

Ein solches Interview einer Ministerin, das in einer so elementar wichtigen Angelegenheit ihres Zuständigkeitsbereichs keinerlei sachlich begründete Haltung zeigt und nur Empfindungen Ausdruck gibt, ist sehr bedauerlich. „Eigentlich“ ist es auch ein wenig unverantwortlich.

5 Antworten zu “Johanna Wanka, Annette Schavan und das absolut Ungerechte

  1. Hat dies auf Erbloggtes rebloggt und kommentierte:

    Erzeugt „es“ vielleicht deshalb so große Traurigkeit bei der neuen Ministerin, weil ihre eigene Position im Kreis der Freundinnen einigermaßen unkomfortabel und nicht auf Dauer eingerichtet ist?

  2. Theo-Ullrich Ludwig von Eichenbach

    „Die eigentliche Ursache für die bevorstehende Ausweglosigkeit liegt in der Meinung, wer wissenschaftlich fehle, der fehle auch als politischer Mensch. Da möchten sich einem die Zehen zusammenrollen.“

    (Aus einem Brief an Dr. jur. Theo-Ullrich Ludwig von Eichenbach)

    • Prof. Dr. Dr. mult. Hein-Schmöke Pufogel

      Lieber Freund von Eichenbach,

      Ihre Zuschrift berührte mich recht eigentümlich, da sie mich wieder einmal der Zehen gedenken ließ, welche ich dereinst bei der denkwürdigen Erstbesteigung des Großen Laber gelassen. Seit sich Dawai Lama, mein getreuer Sherpa, an jenem grausamen 14. Jänner 1952 zu einem letzten Versuch, die Vermissten aufzuspüren, aus unserem Zelt in den ewigen Schnee hinausschleppte, um niemals wiederzukehren … seitdem rollen sie sich mir nimmermehr.

      Bei meiner langjährigen ehrenamtlichen und seit kurzer Zeit auch bescheiden besoldeten Tätigkeit für die Wissenschaftliche Sauberkeitsstandarten-Allianz (SAUSTALL) erwies sich dieser Umstand freilich immer wieder als vorteilhaft. Wie oft hätten sich sonst …

      Genug von mir und den Meinen. Darf ich mir gestatten, Sie nach dem Befinden Ihrer Lieben zu fragen?

      In alter Verbundenheit bin ich Ihr
      Pufogel

  3. Theo-Ullrich Ludwig von Eichenbach

    Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Dr. mult. Pufogel,

    gleich Ihnen war mein verschiedener Doktorvater Prof. Dr. jur. Dr. h.c. mult. Guntram Stähnke ein Freund von Bergersteigungen, über die er unter dem Pseudonym „Petrarca“ schrieb. In der etwaigen Neuauflage meines „Grundrisses zu einer Gedächtnisschrift für Guntram Stähnke“ (Mai 2013) werde ich darauf eingehen. Aus meinem Privatleben gibt es zu berichten, dass ich nach zeitweiliger Verfettung wieder mein Idealgewicht erreicht habe. Meine Gattin hat mir neulich eine Szene gemacht, weil ich angeblich zu nett gegenüber einem Serviermädchen war.

    Es grüßt Sie herzlich Ihr
    Theo-Ullrich Ludwig von Eichenbach

  4. Pingback: Wanka: “Schavan soll wieder in Führungsposition” | Erbloggtes

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