Das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 20. März 2014 mit dem Aktenzeichen 15 K 2271/13 ist jetzt in seinem vollen Wortlaut veröffentlicht worden. Es geht weit über das hinaus, was bislang in den Medien berichtet wurde: Das Gericht hat nicht nur das Verfahren der Universität in jeder Hinsicht als rechtmäßig und beanstandungsfrei bestätigt, sondern auch die Plagiatsvorwürfe und ihre Bewertung durch die Universität in allen Einzelheiten nachvollzogen. Nebenbei erteilt es Wissenschaftlern, die Annette Schavan mit allerlei Gutachten zu Hilfe geeilt sind, eine schallende Ohrfeige.
Das Urteil gibt allerhand Einblick in die tatsächlichen Abläufe des Verfahrens. So erfährt man z.B. über die Stellungnahme, die Schavan „mit anwaltlichem Schreiben vom 5. November 2012“ bei der Universität einreichte, dass ihr
weitere Stellungnahmen von Fachvertretern bzw. Erziehungswissenschaftlern (Prof. Dr. h.c. M. I1. , Prof. Dr. E. C. , Prof. Dr. I2. -F. U. , Prof. Dr. I3. G. und Prof. Dr. h. c. mult. I2. I4. ) beigefügt waren […] [1]
Leider werden im Urteil die Beteiligten nicht mit Klarnamen genannt. Doch zumindest zwei dieser gerichtlich Anonymisierten lassen sich leicht wiedererkennen: Bei dem Berichterstatter „Prof. Dr. S.“ handelt es sich natürlich um den Prodekan der Fakultät, Stefan Rohrbacher. Auch kein großes Geheimnis ist die Identität
des emeritierten Professors für Philosophie an der Universität C2. , M. I1. [1]
der in seiner unterstützenden Stellungnahme behaupten wollte, dass
in den Fächern der Erziehungswissenschaften in den 80er Jahren eine Praxis der Quellenverweise als geläufig zu beobachten gewesen sei, bei der nur summarisch verfahren worden sei in der Annahme, für den fachkundigen Leser habe kein Zweifel daran bestanden, dass sich auch die dem kenntlich gemachten wörtlichen Zitat voraufgehende und folgende Paraphrase auf diesen Autor beziehe. [1]
Dieser unbekannte Philosoph und Wissenschaftsethiker – nennen wir ihn einfach H. – darf sich nun von den Richtern bescheinigen lassen, er rede
in seiner Stellungnahme etwaigen Verstößen gegen die wissenschaftliche Redlichkeit in Gestalt der von der Klägerin reklamierten Vorgehensweise das Wort, in dem er vom “Verschleierungszitat“ (also einer Textstelle, die erkennbar von einer fremden Quellen abstammt, aber umformuliert und weder als Paraphrase noch als Zitat erkennbar gemacht worden ist) bis hin zur “Bauernopferreferenz“ (bei der zwar eine Fußnote eingefügt wird, der übernehmende Autor den Leser jedoch über den Umfang der Übernahme im Unklaren lässt), Arbeitsmethoden als wissenschaftsadäquat rechtfertigt, die das Vortäuschen der Eigenständigkeit einer wissenschaftlichen Leistung erlauben. [1]
Zuvor hat das Urteil die Plagiatsstellen einzeln abgehandelt, Seite um Seite:
Zu Recht hat Prof. Dr. S. moniert, dass Seite 23 der Dissertation mehrfache Übernahmen aus der Schrift von David Katz (Mensch und Tier. Studien zur vergleichenden Psychologie, Zürich 1948) enthält, ohne dass ein Verweis auf diese Arbeit erfolgt. Den Autor erwähnt die Klägerin in anderem Zusammenhang erstmals in einer Fußnote auf Seite 25 (und nicht wie von ihr behauptet auf Seite 24) und im Fließtext erstmals auf Seite 27.
Seite 26 der Dissertation beinhaltet, wie im Bericht von Prof. Dr. S. zutreffend aufgeführt wird, nicht kenntlich gemachte wörtlich übernommene oder leicht angepasste bzw. leicht abgewandelte Textstellen aus den Schriften von F.J. Byutendijk (Mensch und Tier, Hamburg 1970) und Arnold Gehlen (Der Mensch. Seine Natur und seine Stellung in der Welt, Frankfurt 1974), die sich beide zu Jakob von Uexküll (Streifzüge durch die Umwelten von Tieren und Menschen, Stuttgart 1970) verhalten und den Eindruck erwecken, dass unmittelbar auf die Primärquelle (von Uexküll) zurückgegriffen wurde. Als Zitat aus Byutendijk ist lediglich ein Halbsatz im Fließtext ausgewiesen.
Auf Seite 45 finden sich im Sinne von Prof. Dr. S. “Collagen von Versatzstücken“ aus der Arbeit von Helmut Fend (Sozialisierung und Erziehung. Eine Einführung in die Sozialisierungsforschung, Weinheim, Berlin, Basel 1969), in denen sich die Klägerin mit den Aussagen von Emile Durkheim (= Primärquelle) auseinandersetzt. Belegt wird als Zitat aus der Schrift von Fend nur ein Halbsatz; auch Durkheim selbst wird, was die Kammer ergänzend festgestellt hat, erst in einer Fußnote auf Seite 46 belegt.
Auf Seite 47 bezieht sich die Dissertationsschrift der Klägerin auf die deutsche Ausgabe des Werks von George Herbert Mead (Geist, Identität und Gesellschaft, Zürich und Stuttgart 1971), der auch – allerdings ohne konkrete Seitenangabe – in der Fußnote aufgeführt wird. Die komplette Argumentation entspricht allerdings, wie von Prof. Dr. S. zutreffend ausgeführt wird, der Arbeit von Helmut Fend (a.a.O.), der lediglich in Bezug auf ein in einem Halbsatz befindliches wörtliches Zitat als Beleg angeführt wird.
Das wörtliche Zitat auf Seite 49 der Dissertation, für das als Beleg das Werk von Theodor Scharmann (Die individuelle Entwicklung in der sozialen Wirklichkeit, in: Handbuch der Psychologie, Bd. 6: Entwicklungspsychologie, hrsg. von Hand Thomae, Göttingen 1959, S. 535 – 582) aufgeführt wird, wurde aus einer anderen als der angegebenen Veröffentlichung von Scharmann übernommen (nämlich aus Theodor Scharmann, Psychologische Beiträge zu einer Theorie der sozial-individuellen Integration, in: Sozialisation und Personalisation, Beiträge zu Begriff und Theorie der Sozialisation aus der Sicht der Soziologie, Psychologie, Arbeitswissenschaft, Medizin, Pädagogik, Sozialarbeit, Kriminologie, Politologie, hrsg. von Gerhard Wurzbacher, Stuttgart 1974). Auch der bibliographische Nachweis entstammt dem vorgenannten Werk von Scharmann, wobei der in der Dissertation der Klägerin unter Fußnote 3 aufgeführte Titel allerdings fehlerhaft aus einer unmittelbar benachbarten Fußnote des vorgenannten Werkes von Scharmann bezogen wird. Auf die diesbezüglichen Ausführungen von Prof. Dr. S. auf Seite 24 seines Berichts wird ergänzend Bezug genommen. [1]
Und so weiter und so fort. Keine schöne Lektüre für all diejenigen, die erwartet hatten, dass ein Verwaltungsgericht nur die Beachtung von bloßen Verwaltungsregeln überprüft und beurteilt. Keine schöne Lektüre für diejenigen, die immer noch an ein paar Flüchtigkeitsfehler der Doktorandin Schavan glauben wollten. Unschön auch, dass wir nun erfahren, dass Doktorvater Gerhard Wehle seinerzeit die Bedeutung des „nur referierenden Teils“ der Arbeit gar nicht so gering einschätzte wie Schavans Verteidiger später, als man in diesem Teil die meisten Plagiate gefunden hatte.
Im Gutachten des Erstgutachters (bzw. Referenten) Prof. Dr. X. heißt es hierzu wörtlich:
“…Der zweite, weitaus umfangreichste Teil der Arbeit leistet eine ausgreifende Orientierung über Gewissenstheorien, wie sie von verschiedenen Disziplinen in unterschiedlicher Form und Absicht vorgelegt wurden. […] Das Spektrum der vorgestellten Theorien über das Gewissen ist breit und vermag umfassend zu orientieren. […] Die zehn Kapitel dieses zweiten Teils stellen durchweg die Fähigkeit der Verfasserin unter Beweis, unterschiedliche theoretische Konzepte auf den wesentlichen Kern zu bringen; dabei wird die Verfasserin in ihren Darlegungen der z.T. höchst unterschiedlichen Terminologien der Theorien gerecht, ohne dass dabei die gesamte Arbeit an durchgängiger Lesbarkeit verliert […] eine jeweils stimmige Leistung….“ [1]
Auch unschön. Und all das in der Osterzeit. Vielleicht lesen wir uns jetzt noch mal die Erklärung durch, mit der Annette Schavan darauf verzichtet hat, gegen dieses Urteil Berufung einzulegen. Nachdem ihr dieses Urteil vollständig vorlag, nämlich. Eine Erklärung, mit der sie den Weg für eine Klärung frei machte, die in der Wissenschaft dringend notwendig war. Aber nicht mit ihrer Person verknüpft sein sollte, und nicht den blöden Verwaltungsrichtern das entscheidende Wort überlassen durfte. Sondern der Wissenschaftsethik. Leuten wie H. Deshalb der Verzicht. Für die Wissenschaft.
Vielleicht führt ja auch dieser Weg über den Verzicht ein wenig nach Rom, wo die Zitronen blühen.
Diese Kürzel werden immer so generiert, dass man im Alphabet bei den Initialen immer einen Buchstaben zurück geht. Von daher kann man das ziemlich leicht auflösen.
Prof.Dr. S. = Prof.Dr. R.
Prof.Dr.h.c. M.I. = Prof.Dr.h.c. L.H.
Prof.Dr. E.C. = Prof. Dr. D.B.
Prof.Dr. I.-F.U. = Prof. Dr. H.-E.T
usw.
Die Ziffern kann man dabei übergehen, sie gehören nämlich nicht zur Verschlüsselung.
LOL
Nein, so: KNK
Unsere Abt. für Dechiffrierung arbeitet unter Hochdruck an der Sache.
„Prof.Dr. S. = Prof.Dr. R.“ ist bereits als „Prof.Dr. Rohrbacher“ entlarvt.
Bei den anderen Verdächtigen kann die Abt. zum gegenwärtigen Zeitpunkt nur spekulieren:
Ist Prof.Dr.h.c. M.I. nun
a) Prof.Dr.h.c. L[uft] H[ansa], oder
b) Prof.Dr.h.c. L[es] H[umphries], oder aber
c) Prof.Dr.h.c. L[udger] H[onnefelder]?
Handelt es sich bei Prof.Dr. E.C. in Wahrheit um
a) Prof.Dr. D[avid] B[owie], oder um
b) Prof.Dr. D[ietrich] B[enner], oder um
c) Prof.Dr. D[J] B[oBo]?
Besonders schwierig: Prof. Dr. I.-F.U. Ist es
a) Prof.Dr. H[einz]-E[lmar] T[enorth], oder
b) Prof.Dr. H[einz]-E[lmar] T[enorth], oder vielleicht
c) Prof.Dr. H[einz]-E[lmar] T[enorth]?
Unter den richtigen Einsendungen verlosen wir ein angebissenes Stück Lübecker Marzipan, noch recht frisch.
Noch im Abgang besitzt das Urteil eine ganz schön scharfe Note, Zitat: „Im Übrigen wäre die Klägerin aber auch nach § 48 Abs. 2 VwVfG NRW nicht gegen eine Rücknahme der Begünstigung geschützt, da sie die Gradverleihung durch arglistige Täuschung bewirkt hat (§ 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 VwVfG NRW). Arglist in diesem Sinne liegt vor, wenn die bewusste Irreführung darauf gerichtet war, auf den Erklärungswillen der Behörde einzuwirken.“
Da haben wir es: Arglistige Täuschung.
Mussten da Verwaltungsrichter oder deren nahe Verwandte vielleicht seinerzeit im Studium unter der kruden Selbstherrlichkeit einer Frau Schavan und ihrer Seilschaft derart gelitten haben, dass dieses Urteil die gute Dame zuerst haarklein seziert und denn Happen für Happen an das Recht verfüttert wird? In grimmiger Entschlossenheit hat sich das Gericht nicht nur einfach, sondern dreifach korrekt abgesichert und haut der Klägerin ihre unverfrorene Unkorrektheit damit gleich auf mehreren Ebenen um die Ohren.
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Konithenkackerei…
Hallo Geländer! Danke für diesen geilen Kommentar. Den Teil mit der „Kackerei“ hast Du schon mal perfekt hingekriegt. Die Mühen der Annette Schavan waren nicht vergebens.
Hallo Simone, nicht so streng. Leander möchte doch nur zum Ausdruck bringen, dass er Annette Schavan für eine echte Konifere in ihrem Gebiet hält.
🙂
Wikipedia meint, dass Koniferen Nacktsamer sind. Das führt jetzt aber eindeutig zu weit in die falsche Richtung. Eine absurde Vorstellung, also ehrlich…
Wenn Ihr Euch hier aus der Diskosion weiter bloß die Russinnen rauspickt, um dem Geländer die Kontinenz abzusprechen, dann muss ich hier die Kominternfiktion schließen.
ich glaube, das muss „von hinten“ heißen.
.~.
Daaaas wollen jetzt mal nicht weiter vertiefen bitte.
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