Eine Laudatio aus Anlass der aktuellen Lübecker Leihwürde

Da sitzt nun Annette Schavan in der ersten Reihe im Audimax der kleinen, feinen und ganz famosen Universität, die ihr an diesem 11. April 2014 die Ehrendoktorwürde verleihen wird. 250 geladene Ehrengäste wohnen dem heutigen Hochamt bei. Lauter Entscheidungsträger aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und gesellschaftlichen Gruppen. Das Land hat schon ein Grußwort gesprochen, die Stadt auch, es gab einen Jahresrückblick und eine Ausschau auf das Kommende. Dieser Programmpunkt hatte uns zunächst befremdet, denn normalerweise findet die Ausschau auf das Kommende ja bereits vor offiziellem Beginn im Eingangsbereich statt, und so hatte Annette Schavan das offenbar auch verstanden und war dem persönlich gewissenhaft nachgegangen. Doch dann erklärte sich diese Ausschau als Blick in die Zukunft der Universität. Es war die weitere Zukunft, in die da geschaut wurde, weshalb die in nächster Zukunft zu erwartenden Berichte und Kommentare, diese Universität betreffend, getrost übergangen werden konnten.

Und nun sind wir bei der Laudatio angelangt. Der ursprünglich als Laudator angekündigte Göttinger Mediziner Heyo K. Kroemer ist der Universität in den letzten Tagen leider abhanden gekommen. Er hätte deutlich machen sollen, dass es bei Schavans Ehrung in Lübeck nicht nur um Lübeck geht. Denn auch für Greifswald, wo Kroemer damals Dekan war, hatte Schavan Bundesmillionen springen lassen. Nun wird die Lobpreisung durch den Lübecker Universitätspräsidenten Peter Dominiak vorgenommen. Er kann nun deutlich machen, dass es bei dieser Ehrung um die Wissenschaft geht, und ist ein glänzender Redner.

Unsere Gedanken schweifen unterdessen ein wenig. Universität zu Lübeck … Was ist das überhaupt? Und wo kommt es eigentlich her? … Annette Schavan … Wer ist das überhaupt? Und wo wollte sie hin?

kindheit1Letztere Frage wenigstens ist rasch beantwortet: Nach vorne und nach oben. Und weil die kleine Annette Schavan, die aus sogenannten „kleinen Verhältnissen“ stammte, mit einer raschen Auffassungsgabe gesegnet war, verstand sie früh, worum es ging. Zum Beispiel darum, in der Schule dort zu sitzen, wo es von der Lehrerin sofort bemerkt wurde, wenn man das Schreibheft als erste auf dem Tisch hatte. Es ging darum, gut mitzukommen. In „Religion“ war man immer schon sehr gut mitgekommen. In „Hauswirtschaftslehre“ auch. Sonst war es eigentlich gar nicht so sehr gut, doch das täuschte. Denn der Eindruck war ja deutlich besser.

Es ging darum, den Lehrern als besonders begabtes Kind aufzufallen, um als verheißungsvoll gelten zu können. Die Lehrer hatten es gern, wenn man ihnen diese ganz besondere Aufmerksamkeit zollte, die schon etwas Persönliches hatte. Das wurde durch den Ausdruck der quicken Verständnisinnigkeit im Gesichtsbereich vermittelt, durch den Unterton einer persönlichen Ansprache, wenn man sich zu Wort meldete. Im Lauf der Zeit kam es dann dazu, dass man diese Aufmerksamkeit den Lehrern schenkte.

Ferner ging es darum, die richtigen Freundinnen zu haben. Das erwies sich in der ersten Versuchsanordnung als schwierig, was aber nur die Folge eines Missverständnisses war. Denn es kam ja nicht auf die Masse an. Später durfte man sogar einsehen, dass jegliche Verbundenheit mit der Masse die Verständnisinnigkeit mit manchen Lehrern ernsthaft gefährdet hätte. Dergleichen war jedoch durchaus nicht zu befürchten, wenn man mit Hanni und Nanni befreundet war. Hanni und Nanni waren nicht Masse, sondern ganz große Klasse. Nanni insbesondere besaß den unbestreitbaren Vorzug, die Tochter des Mannes zu sein, der in der Stadt unbestritten das Sagen hatte, und in der Partei, die in der Stadt unbestritten das Sagen hatte, war er gleichfalls unbestritten derjenige, und im Bundestag saß er auch. Das waren die großen Verhältnisse, die man nun bestaunen konnte und ersehnen musste.

Hanni konnte man irgendwann getrost vergessen. Mit Nanni aber fand man bald derart selbstverständlich Zugang zu allen möglichen besseren Adressen der Stadt, dass man dort schon als Kind des Hauses gelten konnte. Als kluges und vielversprechendes Kind. Um als vielversprechend gelten zu dürfen, musste man die richtigen Dinge sagen. Besonders kluge Dinge, wie es schien, wobei es sich als besonders vorteilhaft erwies, wenn man solche klugen Dinge in dieser ganz gewissen Weise und mit diesem Ausdruck der persönlichen Verständnisinnigkeit verkündete, die das aktuelle unterbelichtete Gegenüber sogleich empfinden ließen: „Ja klar, hab‘ ich verstanden. Genau so ist es. War mir klar. Genau so hätt‘ ich’s auch gesagt.“ Und dann: „Wer hätte gedacht, dass wir dermaßen auf derselben Wellenlänge funken? All diese anderen Dumpfbacken dagegen …“

Auf solche Weise wurde man in der Stadt zum Gehirn der jungen Generation. Die ansonsten in dieser Hinsicht ungleichmäßig ausgestattete junge Generation registrierte das nicht durchgängig mit Begeisterung. Das Gehirn war in mancher Hinsicht recht allein. Allerdings war es nun immer obenauf, und meistens auch vorne. Klassensprecherin, Schulsprecherin. Da war es nicht unbedingt auch noch vonnöten, in der Schulbank immer die Nachbarin der ersten Wahl zu sein. Es gab nicht viele, denen man wirklich näher kam. Wenn einem jemand zu nahe kam, drohte man mit der Lehrerin oder mit der Frau Direktor. Man ließ andere nicht abschreiben, in Hauswirtschaftslehre oder in Religion. Man hat selbst niemals abgeschrieben. Man schwänzte den Unterricht nicht, sondern begeisterte sich für allerlei Räume, welche die Schule gewährte und in denen man zur Entfaltung gelangen konnte. Später gelang es, eine verehrte Dichterin aus fernen Landen in die Schule einzuladen, die ihren Namen trug.

Räume, in denen man zur Entfaltung gelangen konnte, gab es freilich auch außerhalb der Schule. Allerlei Zirkel und Konventikel verschiedener Zielrichtung, und sofern es sie nicht schon gab, konnte man sie zwecks besserer Entfaltung ins Leben rufen. Der Vater der Nanni sah all dies mit Wohlgefallen und fand, dass es an der Zeit sei. So wurde man in die Politik eingeführt und durfte sich im Rathaus als sachverständige Bürgerin zeigen. Die Sache der Bürgerin war zunächst die Sache der Schule, die geschlossen werden sollte, und Verstand war auch vorhanden. Sehr viel Verstand sogar, fanden der Vater der Nanni und die anderen Bürger dieser Stadt. Später wurde man Stadträtin.

Raum bot auch die Kirche. Raum für Zirkel und Konventikel, die geleitet werden wollten. Im großen Kirchenraum standen freilich andere auf der Kanzel, Männer in prächtigen Gewändern, dort konnte man nicht hinauf, um zu predigen. Doch den Drang zur Predigt verspürte man stark. Und es gab ja noch andere Räume, Kirchlein und Kapellen am Wegesrand, die nichts dagegen einzuwenden wussten, wenn man sinnige Gebetstexte abfasste und sie dort auslegte. Zur Erbauung der Schäflein. Von und durch Annette Schavan. Und was die literarische Gattung der Predigt angeht, so erwies sie sich zunehmend als universell einsetzbar. In Wort und Schrift. Die Tatsache einer Kanzel war nur eine Frage des momentanen persönlichen Standpunktes.

Inzwischen hatte man die Universität bezogen. Es war die nächstliegende. Man musste dafür allerdings den Rhein überqueren. Es war die falsche Rheinseite. In der Stadt hätte es zwar noch eine Pädagogische Hochschule gegeben, einst gegründet für Studierende katholischer Konfession, doch wenn man vorne bleiben und weiter nach oben kommen wollte, musste es die Universität sein. Auf der falschen Rheinseite gab es keine Religion. Aber immerhin Erziehungswissenschaft. Das kannte man schon, und vielleicht würde man Lehrerin werden. Und Philosophie gab es, das wählte man als Nebenfach, wegen des Verstandes und weil es da auch um die großen Dinge ging. Später kam noch etwas Theologie dazu, dafür ging man dann nach Bonn.

Eigentlich ging es an der Universität genauso, wie es in der Schule gegangen war.

Man steuerte auf das Staatsexamen zu. Lehrerin. Das ging nicht allzu geschwinde, zumal das Spezialfach „Beziehungspflege“ viel Aufmerksamkeit erforderte. Auch fiel nicht alles gleichermaßen leicht. Doch gerade im Spezialfach brachte man es zu früher Meisterschaft. Und deshalb überschlugen sich dann auch die Dinge. Es waren sehr schöne Dinge, die sich da überschlugen: Ein schon alter und angesehener Gelehrter, Theologe an einer anderen Universität, sah sich veranlasst, gemeinsam mit der jungen Studentin einen Band voller Wissenschaft ans Licht der Welt zu geben. Ein anderer Gelehrter sah sich veranlasst, der jungen Studentin den Weg in eine erste, bedeutende Position zu ebnen. Im Cusanuswerk, der Studienförderung der katholischen Bischöfe, sollte sie künftig wirken. Sofern und sobald sie promoviert wäre.

Und so fertigte man die Abschlussarbeit nun rasch als Dissertation an. Der Titel war groß und schön: „Person und Gewissen“. Er ließ Grundsätzliches und somit die Einlösung der Verheißungen erwarten. Zugleich zeigte sich im Untertitel ein Anflug der Bescheidenheit: „Studien“ sollte die Schrift enthalten, also nur Beiträge zum Thema leisten. Keine umfassende Abhandlung. Bei der Anfertigung der Arbeit durfte man Sekundärliteratur benutzen. Der Gegenstand machte gewisse Mühe.

Doch es ging gut und am Ende sehr schnell. Man konnte die Doktorarbeit noch rechtzeitig vorlegen, und sie wurde mit Wohlgefallen aufgenommen. Nicht glänzend, aber vollauf hinreichend tüchtig. Auch die mündlichen Prüfungen bestand man, obwohl es besonders schwierige Prüfungen waren, weil man zuvor kein Examen abgelegt hatte. Und dann war man auch schon Referentin der katholischen Studienförderung.

Das war nun allerdings eine zwar noch untergeordnete, zugleich aber auch schon wunderbar gehobene Position. Denn von nun an war man auf der Seite derer, um deren ganz besondere, persönliche Gunst man sich zu bemühen hat, wenn man weiterkommen will. Derer, die Huld erweisen und vorenthalten. Derer, auf deren persönliche Zuwendung es ankommt, wenn man sich Zuwendungen erhofft.

In der Stadt gab es weiterhin wechselnde Gebetstexte der Annette Schavan zu lesen, die nun auch Ratsmitglied war. Für die Gebetstexte war das mit der Eroberung der größeren Kirchenräume verbunden. Sie fanden auch Eingang in künstlerisch bebilderte Geschenkbände und hießen dann vorzugsweise „Gedanken zur Heimat“. Sie lagen in den Buchhandlungen der Stadt aus und waren in den Schaufenstern stets gut sichtbar platziert.

Leiter der bischöflichen Studienstiftung war mittlerweile ein Gelehrter, der nach eigenem Wahlspruch in seiner wissenschaftlichen Tätigkeit stets priesterlichen Dienst versah. Man war ihm eng verbunden und verdankte ihm viel. Damals, und auch viel später noch, in schwerer Zeit. Auch seinem Wahlspruch fühlte man sich lebenslang verpflichtet, wenngleich ein priesterlicher Dienst in dieser Form nicht unmittelbar möglich war. Wissenschaftliche Tätigkeit dagegen – oho! Im Grunde war man damals bereits Wissenschaftsministerin, jedenfalls im Rahmen der förderungswürdigen Katholizität. Man hatte dort inzwischen die Geschäftsführung übernommen und trat bald auch die Nachfolge des Priesterwissenschaftlers an. Die Höhe, aus der herab man dem bemühten Nachwuchs Gunst und Wohltat erweisen konnte, war beträchtlich größer geworden.

Auch in der Partei hatte man es inzwischen zu Geltung und Position gebracht. Manche Verbindung ergab sich auch da noch aus Studienzeiten. Viele Fäden, die da gehalten und neu gesponnen wurden, liefen in der einen oder anderen Weise immer noch durch die Stadt. Die Bewohner der Stadt schauten mit ungläubiger Bewunderung auf die junge Frau, die es aus ihrer Mitte so weit gebracht hatte: Weit nach oben, und leider auch weit fort. Denn man war nun Ministerin, für Kultus, und hatte in einem fernen Land die oberste Aufsicht über den Unterricht und über die Kopftücher, die wichtig und anders zu werten waren als Nonnenkostüme. Die oberste Aufsicht war ab sofort auch die alleinige Aufsicht. Das mussten die Ministerialbeamten lernen, die nicht einsehen wollten, dass sich diese alleinige oberste Aufsicht stets aus höherer Einsicht speiste. Und die Lehrer und Schulleiter mussten es lernen. Wenn sie es nicht schon wussten und nicht sogleich lernen mochten, oder wenn sie sich sonst irgendwie unerfreulich zeigten, dann wehte eisige Kälte und herrschte ein schneidender Ton. Und die Eltern in diesem Land mussten es ohnehin lernen. Denn darum geht es ja in der Bildung: Dass man was lernt.

Wenn es aber erfreulich zuging und sich alles zur Zufriedenheit der Ministerin ergab, dann zeigte man jene Wohllaune, mit der man den einfachen Leuten zeigt, dass man bei ihnen ist, zu ihnen gekommen, und dass sie das als eine besondere Gunst begreifen dürfen: Denn diese ganz besondere Wohllaune der Ministerin speiste sich ja aus dem ganz besonderen und rundum uneingeschränkten Wohlgefallen, das man selbst an dieser rundum dermaßen famosen Ministerin fand. Und es war schon sehr großzügig, dass die Ministerin den einfachen Leuten von ihrer Gegenwart überhaupt etwas abgab, wo sie doch selbst ein derart großes Vergnügen an ihr hatte.

Zumal diese einfachen Leute ja doch gemeinhin reichlich schlicht waren. Deshalb war es auch schwer, die Augenbrauen nicht in die Höhe schießen zu lassen und die Augen nicht himmelwärts zu verdrehen, wenn einer von ihnen den Mund aufmachte.

Insgesamt hatte man es aber nicht allzu schwer. Es gab reichlich Erlasse zu erlassen und Predigten zu predigen. Man konnte Universitäten besuchen und die Werkstätten des Geistes besichtigen, wobei man stets genau verstand, ja beim Hereinkommen schon verstanden hatte, was der jeweilige Teilchenbeschleuniger gerade tat. Akademische Feierlichkeiten konnte man mit humorigen Ansprachen bereichern, die einen irgendwie leicht unbestimmbaren Glanz verströmten und stets davon kündeten, dass die aus der Weite herbeigekommene Rednerin den Blick auf irgendwas größer Zusammenhängendes zu öffnen hatte.

Ferner gab es Gelegenheiten, als getreue Vollstreckerin des Landesvaters in der Provinz unter der Hand politische Fäden zu spinnen und im Verborgenen Weichen zu stellen, um kleineren Misshelligkeiten ein Ende zu setzen. Wenn aus der kleineren Misshelligkeit dann ein veritabler Totalschaden geworden war, hatte man das nicht zu verantworten. Diese Provinzler! Man selbst weilte längst wieder in der Landeshauptstadt und war damit beschäftigt, die Schulen einmal mehr umzukrempeln. Man war nun von Freunden und Vertrauten und deren Vertrauten umgeben und wusste weitere Freunde und Vertraute im Umfeld an sich zu binden. Von Gesetzen und Vorschriften, die da bei formaler Betrachtung manches vielleicht doch recht erschwert hätten, wusste man nichts. Überhaupt hielt man nichts davon, die Dinge auf andere Weise zu ordnen, als man das in Kindheit und Jugend gelernt und geübt hatte. Es hätte auch mit dem Teufel zugehen müssen, wenn deshalb jemals irgend etwas Unangenehmes gefolgt wäre. Der Teufel aber war damals Landesvater, und es war ihm im Übrigen sehr am Gedeihen der allgemeinen Katholizität gelegen.

Dann kamen die Berliner Jahre. Nun war man im Bundeskabinett. Manches erschien nun ganz anders als zuvor aus der doch sehr beschränkten Perspektive des Landes. Doch das täuschte, denn in Wahrheit hatte sich ja nichts geändert: Es galt das gesprochene Wort, und das erschallte in immer gleicher Gewissheit und mit immer gleichem, undurchdringlichem Schimmerglanz. Die beständige Munterkeit, mit der die wechselnden Kanzelverkündigungen unweigerlich erfolgten, war in ihrem Zusammenwirken mit dem scharfen Zuschnappen bei unerwünschter Einrede unübertrefflich. Bildungsdeutschland war auf dem Weg nach oben, unausweichlich. Dorthin, wo Annette Schavan schon wartete. Das Ganze war doch nur ein etwas erweitertes Cusanuswerk, in dem man bei Wohlgefallen und Wohlverhalten Gunst erzeigte und Wohltaten verteilte. Vor allem die höhere Bildungsrepublik erwies sich alsbald als vollständig cusanifizierbar. Über die Tür hatte man „Exzellenz“ geschrieben. Das sicherte den beständigen Wettbewerb um die Gunst und die Wohltaten. Die unteren Stockwerke waren seit längerem nicht mehr besichtigt worden. Man hörte so manches. Doch wer sich mühselig und beladen fühlte, der konnte doch nach den Segnungen der Exzellenz streben!

Dieser Zweig der Ministerialgeschäfte wuchs allmählich gewaltig an. Mit formalismusfixierten Bedenkenträgern war dieser expandierende Geschäftszweig nicht zu steuern. In der Führungsetage des Ministeriums waltete ein anderer, freierer Geist. Man war einander nah vertraut in dieser Etage, und man war eng verbunden mit Führungsetagen anderer Häuser, in denen ein ähnlicher Geist wehte, wie er wollte. Es konnte geschehen, dass Führungspositionen im Ringtausch zwischen der katholischen Akademie der Hauptstadt, dem Ministerium und der Stiftung der Partei besetzt wurden. Es konnte geschehen, dass sie im Wechsel der Ehepartner besetzt wurden. Die Ehe wurde deshalb nicht erneut öffentlich ausgeschrieben. Es herrschte eine familiäre Atmosphäre. Die Ministerin war eine loyale Verbündete der Kanzlerin. Fast alles war gut.

Man galt als klug. Das war gut. Man galt als geräuschlos effizient. Das war auch gut. Man galt als loyal und verschwiegen. Gleichfalls gut. Man galt als still. Nicht gut, obgleich man behauptete, es gar nicht anders zu wollen. Man müsse nicht an jedem Mikrofon stehen bleiben, ließ man verbreiten. Doch in Wahrheit ärgerte man sich grün darüber, dass man die graue Maus dieses Kabinetts sein sollte. Man brannte danach und versuchte mancherlei, um öfter und besser in die Nachrichten zu kommen. Man ließ einen losen Kreis von Journalisten und nicht wenigen Journalistinnen wachsen, mit denen man in Freundschaft umging und die wenigstens bei Gelegenheit, wo es sich machen ließ, freundlich berichteten. Sie hatten eine warmherzige, intelligente Frau ohne Allüren kennen gelernt.

Eine warmherzige Frau lernten auch Wissenschaftler kennen, exzellente Wissenschaftler, die wegen ihrer ganz besonderen Exzellenz als Hauptpersonen der aktuellen Pracht-und-Ruhm-Veranstaltung aus Übersee eingeflogen worden waren und einer strahlenden Ministerin vorgestellt wurden. Die freute sich ganz außerordentlich über die angereiste Exzellenz und drehte ihr, sobald die Exzellenz etwas zu sagen versuchte, sofort den Rücken zu, um sie nie wieder anzusehen. Es war eine sehr kurze Bekanntschaft gewesen. Interessanter als solche Tagesgäste waren da schon diejenigen, die sich um laufende Exzellenz bemühten und deshalb immer wieder kommen mussten.

Und dann kam die Zeit der Ernte. All die mit Großzügigkeit Bedachten und all diejenigen, die weiterhin oder künftig bedacht werden wollten, eiferten auch hierin zur Zufriedenheit. Man wurde mit allerlei Ehrungen bedacht, denn man hatte Großes geleistet in der Wissenschaft. Auch Bücher geschrieben. Über Ihn, dessen Geist wehte, und über die Kirche, die auch in der Zukunft ein Morgen haben sollte, und darüber, dass in der Universität mehr Religion sein musste. Das alles und noch viel mehr wurde nun gebührend gewürdigt. Und aus all dem fügte es sich auch, dass man Professorin wurde. Man lauschte der Laudatio und vernahm, dass man die Wissenschaft in diesem Lande verkörperte wie wohl niemand sonst.

Und nun hat man diese Professur zurückgegeben, denn die Berliner haben am Ende doch auch kein Rückgrat gezeigt und nur darauf gewartet und auch ein wenig darauf gedrängt, dass man sich zurückzieht. Und auch dieser Dominiak da vorne, er hat sich ja immerhin noch bemüht, aber jetzt ist er mit seiner Laudatio auch schon gleich am Ende. Etwas länger hätte er ruhig noch reden dürfen. So schlecht war er gar nicht. Und so sitzt man in der ersten Reihe und hält sich dieses leicht gütige, begütigende Lächeln im Gesicht. Und es ist gut, dass man von so wenigen wirklich gekannt wird. Und dass man sie deshalb recht gut hinter dem Ausdruck der Dulderin verbergen kann, in dem zugleich der leise Anflug der Genugtuung und Vorfreude angesichts empfangener Ehren und bevorstehender Ämter liegt: Diese große, diese ganz gewaltige Wut.

7 Antworten zu “Eine Laudatio aus Anlass der aktuellen Lübecker Leihwürde

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  3. ich glaube, der artikel beschreibt recht gut das innenleben in einem bestimmten, durchaus traditionell-bürgerlichen macht-milieu. das ist spöttisch, aber realistisch. so war es immer, denke ich, also: so hat dieser teil der elite über „bildung“ ungefähr ein jahrhundert lang sein fortbestehen und seine bedeutung gesichert. (schavan ist da vermutlich gar nicht die unangenehmste vertreterin. sie hat einfach das spiel gespielt, so wie es eben war.)

    dass es mauscheleien gab, und natürlich auch hinterhergeworfene doktortitel von zweifelhafter qualität, hätte uns seinerzeit (in den 1980ern) nicht überrascht, aber dass das wohl immer schon so war, und zwar nicht als bug, sondern als feature der neobürgerlichen universität jedenfalls seit 1950, habe ich wirklich erst dann verstanden, als der große, konservative, von uns seinerzeit trotz abweichender wissenschaftlicher orientierung durchaus respektierte ordinarius Wolfgang Frühwald hinsichtlich des Schavan-plagiats ganz entsetzlich herumeierte.

    das interessiert mich am meisten: Schavan hat eigentlich nur das spiel gespielt, wie es eben war. insofern verstehe ich sogar ihr mangelndes schuldbewusstsein irgendwie. es war und ist ja tatsächlich das system, das kaputt war/ist. das entsetzliche an der neoliberalen uni-reform war ja auch, dass man vielen abfälligen urteilen über die „alte uni“ gar nicht wirklich widersprechen konnte. natürlich war das, was dann kam, eher noch scheußlicher (und noch nicht einmal ernsthaft „wirtschaftsnäher“!), aber eine rückkehr zu einer „goldenen zeit“ der – ja wann? – 1970er (?) ist jedenfalls keine lösung.

    kein respekt für Schavan, aber es ist dennoch nichts, was man an ihrer person festmachen sollte. wenn das so ist, müssen wir aber promotion als forschungsleistung, die rolle von geisteswissenschaften usw. usw. ganz neu denken. dazu geben gerade die „bürgerlichen“ guttenberg und schavan besonders anlass, das ist ja etwas anderes als die zusammenkopierten windbeutel-marketing-doktoren von der FDP und die CSU-politologen, die immer über irgendwas aus ihrer CSU-parteipraxis „forschen“.

    • Danke für den blickweitenden Kommentar! Gegen Ende springt er etwas assoziativ hin und her, so dass ich nicht genau weiß, was womit zusammengehört. Auch wo nun die Unterschiede zwischen Guttenberg, Schavan, Koch-Mehrin, Scheuer und Lammert liegen, ist unklar.

      Ob man aufgrund des kaputten Systems das Problem nicht an der Person Schavan festmachen sollte, da habe ich schwere Zweifel. Denn natürlich kann man eine Person ohne Gewissen als Ausdrucksform eines entsprechenden Systems ansehen und den Sachverhalt so deuten, dass Individualität keine Rolle spielt. Das ist aber nur eine andere – soziologischere – Betrachtungsweise desselben Sachverhalts, der bisher vor allem aus der – psychologischeren – individualisierenden Perspektive beschrieben wird, weil es bisher immer um konkrete individuelle Zurechnung ging: Wenn Schavan nur Produkt des Systems ist, hätte man vielleicht dem System den Doktor entziehen, das System an der FU lehren und dem System einen Ehrendoktor verleihen sollen, ganz zu schweigen von Systemen, die ministeriale Macht haben oder nicht haben, und Systemen, die ein Erzbischofsgehalt nach Rom überwiesen kriegen. 😉

      Womit Schavan in ihrer diese Woche abgegebenen Erklärung Recht hat: So lange es um ihre Person geht, geht es um ihre Person. Indem sie den Rechtsstreit nun aufgibt, entsteht langsam Raum für den Perspektivenwechsel, den du eigentlich schon lange für erforderlich hältst. Und wenn wir uns fragen, was eigentlich das Kaputte ist am System, und inwiefern wir Promotion und Geisteswissenschaften neu denken müssen, dann kann ich mich des Gedankens nicht erwehren, dass es dort Erstarrungen gibt, die als „Features der neobürgerlichen Universität jedenfalls seit 1950“ im Wesentlichen weiterbestehen.

      Es gab Reformansätze, die diese Probleme angingen, und manche finden sich noch in den Promotionsordnungen von „Reformuniversitäten“. Aber auch da wurden sie in den vergangenen Jahrzehnten eher wieder herausgestrichen, weil sie in Verdacht standen, dysfunktional zu sein. Gerade die Bologna-Reform und zuletzt die Plagiats-Problematik haben die Gelegenheit für Änderungen gebracht. Das waren aber – gerade unter dem fraglichen Aspekt und an Reformuniversitäten – eher keine Fortschritte, sondern Revisionen, mit denen man dem Zustand der 1950er wieder entgegenstrebt. Und dafür gibt es m.E. auch einen klaren Grund:

      Die Konkurrenz um Drittmittel aus Bundes- und Europa-Töpfen (für Geisteswissenschaften besonders brisant) sorgte dafür, dass Leute/Gruppen/Projekte, die den „Standards“, nach denen diese Mittel vergeben werden, also dem Herkömmlichen, Bekannten, Renommierten, nicht entsprechen, im Nachteil sind. Ähnliches gilt auch für die allgemeinere Konkurrenz um Wissenschaftlerkarrieren. Zwei Reformideen fallen mir gerade ein, von denen ich annehme, dass sie sich aus solchen Erwägungen nicht durchsetzen konnten: 1) kumulative Dissertation, 2) kollektive Dissertation.

      Um einmal das naturwissenschaftliche Labor zur Erklärung heranzuziehen: zu 1) Wenn jemand jahrelang in der Wissenschaft arbeitet und dabei mehrere Paper veröffentlicht, könnte man das einfach als Promotionsleistung anerkennen. Dann würde der kontinuierlichen Arbeit eine Bedeutung beigemessen, und nicht dem Produkt Monographie, das offenbar fälschungsanfällig ist. zu 2) Im Labor arbeiten die Leute in Teams. Das geht in manchen Bereichen gar nicht anders. In den Naturwissenschaften werden ja sogar Aufsätze ständig mit mehreren Autorennamen versehen. Warum sollte man nicht Leuten, die sich über Jahre in wissenschaftlicher Kooperation mit anderen bewährt haben, die Fähigkeit zur wissenschaftlichen Arbeit bescheinigen? Wie gut die Arbeit war, das kann dann immer noch eine Kommission beurteilen. Aber je ein zusammenkopierbares monographisches Endprodukt für jedes Individuum braucht die Wissenschaft – eine grundsätzlich kollektive und kontinuierliche Tätigkeit – nicht. Nur die bürgerliche Ehre, die braucht so ein Ding.

    • Ja, schon richtig: Bei Schavan geht es um mehr als die Person, weil ihr Verhalten ja systemimmanent war. Dennoch sollten wir uns die Person noch mal genauer ansehen. Aus denselben Gründen, aus denen man z.B. den „Untertan“ lesen sollte.

      Oder den „Hauptmann von Köpenick“ sehen, trotz Heinz Rühmann. Diese ganz spezielle Köpenickiade dauerte lang genug und wurde von allen Hauptbeteiligten mit solcher Entschlossenheit gespielt, dass das System schon fast schavanimmanent werden konnte. Es war eine fabelhafte persönliche wie systematische Exzellenzsimulation, die auch den übrigen Hauptbeteiligten ganz fabelhafte Verhältnisse bescherte. Nun müssen wir gespannt sein, wie es in Köpenick weitergeht. Denn es wurde ja nur der Hauptmann abgeführt. Mit den fabelhaften Verhältnissen muss es ja aber irgendwie weitergehen.

      Ich finde, man kann beim Personal gar nicht genau genug hinsehen heutzutage.

      • Über das Teekesselchen Exzellenz (Qualität), Exzellenz (zentralisierte Hochschulfinanzierung) und Exzellenz (Botschafteranrede) komme ich einfach nicht hinweg.

  4. Pingback: Die Causa Schavan – nur eine Plagiatsaffäre? › Piratenpartei Deutschland

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