Herr Kamenz vom Kompetenzteam: Wie man Plagiatsfreiheit für Deutschland schafft

Herr Uwe Kamenz, Professor für Wirtschaft an der Fachhochschule Dortmund, ist der Entdecker einer immerhin 63%igen Gesamtplagiatswahrscheinlichkeit in der Doktorarbeit von Frank-Walter Steinmeier (SPD). [1] Das Magazin FOCUS durfte über diese Entdeckung zuerst berichten, [2] weil der Burda Verlag zuvor an Kamenz zweimal Zahlungen für die Erstellung von Digitalisaten geleistet hatte – und zwar „losgelöst von der Untersuchung bestimmter Dissertationen.“ [3] Es leuchtet ja auch ein, dass der Burda Verlag nicht alles, was er  so an Digitalisaten braucht, selbst digitalisieren kann.

Angesichts solch eindeutiger Ergebnisse einer so blitzsauberen Unternehmung sah sich Plagiatsjäger Martin Heidingsfelder ohne weiteres in der Lage, der Universität Gießen, an welcher Steinmeier 1991 promoviert worden war, grünes Licht für die Einleitung eines Verfahrens zu geben:

In Gießen wird man sich freuen, dass man nun endlich auch seinen prominenten Plagiatsfall hat. Und wir sind wohl einen Schritt weiter auf dem Weg zum Ziel „Plagiatfreies Deutschland“. Denn dafür rackert sich Kamenz seit Jahren ab. Ganz uneigennützig:

Dass er geschäftliche Interessen verfolgt, weist Kamenz zurück. Ihm gehe es darum, Plagiate abzuschaffen, sagt er auf Nachfrage. In seinem Institut unterstützten ihn nur zwei freie Mitarbeiter, ein Programmierer und eine Studentin, die Texte einscanne: „Die Hauptarbeit macht der Computer“, sagt Kamenz. Hätte er noch zwei Mitarbeiter, „gäbe es in Deutschland keine Plagiate mehr“. [4]

Diese schöne Aussicht ergibt sich dank der ganz besonderen Leistungsfähigkeit der Kamenz’schen Plagiatssuchsoftware. Als 2011 die Kampagne „Plagiatfreies Deutschland“ ausgerufen wurde, kündigte Kamenz daher auch unerschrocken die Überprüfung von 200.000 Arbeiten an. Diese Zielmarke wurde bisher zwar noch nicht vollkommen exakt getroffen, aber immerhin liegt nun schon mal der aufsehenerregende Prüfbericht Steinmeier vor. [1]

Ferner liegt noch vor, ohne bisher die gebührende Aufmerksamkeit gefunden zu haben: Der Prüfbericht zur Doktorarbeit Schavan. [5] Ins Netz gestellt wurde er bereits am 22. Januar, die aktuelle Version datiert vom 22. Juli 2013. Sie ist nicht geeignet, unser Vertrauen in eine nahe Zukunft ohne Plagiate wesentlich zu befördern.

Kamenz (oder seine ausgereifte Plagiatssoftware) stellt für die Doktorarbeit der ehemaligen Ministerin Schavan eine 100%ige Gesamtplagiatswahrscheinlichkeit fest. Glücklicherweise müssen wir uns nicht lange mit der Frage plagen, wie so ein Wert eigentlich errechnet worden sein soll und was er eigentlich bedeuten möchte. Der himmelschreiende Blödsinn, der dann auf den folgenden Seiten als Befundstellen ausgegeben wird, enthebt uns jeder derartigen Grübelei.

Schon bei der allerersten Textstelle (S. 11 der Doktorarbeit) zeigt sich, dass die Wundersoftware nicht in der Lage ist, in Abführungszeichen und einer Fußnotenziffer Indizien für ein ordentliches Zitat zu erkennen:


Stattdessen wird hier automatisch Plagiatsverdacht signalisiert, und die Software errechnet eine Einzelplagiatswahrscheinlichkeit von 4%. Vermutlich ergibt sich dieser Wert aus dem Abstand der Fußnotenziffer zum vorangehenden Zitat-Schlusszeichen in Relation zur Zeilenlänge.

Gleich an der nächsten Textstelle wird dann demonstriert, dass es nicht immer ein übersehenes Abführungszeichen sein muss. Es kann durchaus auch mal ein übersehenes Anführungszeichen sein, dem sich die Indizierung längerer korrekter Zitate als Plagiatsstellen verdankt:


Nein, es ist nicht die 25jährige Annette Schavan, die sich unredlich mit der Erkenntnis schmücken möchte, dass das Gewissen eine jüdische Erfindung sei. Es ist Adolf Hitler, der dies sagt. Dass es sich hier um einen Ausschnitt aus einer Hitler-Äußerung handelt, kann man unter Umständen auch daraus schließen, dass unmittelbar zuvor „folgender Ausschnitt aus einer Hitler-Äußerung“ angekündigt wird. Und vielleicht kann man versuchsweise sogar so weit gehen, all das, was zwischen An- und Abführungszeichen und vor der Fußnote steht, für die wörtliche Wiedergabe dieser Äußerung zu halten. Man nennt es auch Zitat.

Die Software aus dem Hause Kamenz zeigt sich um all dies unbekümmert. Sie errechnet an dieser Stelle eine Einzelplagiatswahrscheinlichkeit von 24%, und das ist schon ganz ordentlich.

Für eine ausgereifte, zuverlässig funktionierende Software spricht auch die nächste Textstelle:

kamenz3a

Eine Markierung ist hier nicht erkennbar. Weiteren Aufschluss dürfen wir uns von der Gegenüberstellung mit der Originalquelle erhoffen:


Ja, das ergibt nun leider eine Einzelplagiatswahrscheinlichkeit in der bedenklichen Höhe von 40%. Aber locker.

An dieser Stelle brechen wir die Lektüre des Prüfberichts Schavan ab und in Hochrufe auf den Fortschritt der Plagiatssuchautomatisation aus.

Und was heißt dies nun für den Wert der aktuellen Plagiatsprüfung im Fall Steinmeier? Um es mit Uwe Kamenz zu sagen:

Die Indizienlage ist vergleichbar mit dem Fall von Ex-Bildungsministerin Annette Schavan. [2]

absatz

10 Antworten zu “Herr Kamenz vom Kompetenzteam: Wie man Plagiatsfreiheit für Deutschland schafft

  1. Herzlichen Glückwunsch zu diesem Kommentar, der die Sachlage sehr genau auf den Punkt bringt — und dabei auch noch äußerst amüsant ist.

  2. Pingback: Steinmeier und der Quasimodus der Plagiatsforschung | Erbloggtes

  3. Habe dies auch gerade eben bei Erbloggtes kommentiert:

    Es gibt sicher einiges zu kritisieren – das allgemeine Auftreten von Herrn Kamenz, die Art der Veröffentlichung oder die Schlampigkeit der Prüfberichts.

    Dies sollte aber nicht den Blick darauf versperren, dass einige Stellen in der Dissertation von Herrn Steinmeier doch sehr auf bewusste Plagiate hindeuten (ich habe die Dissertation selbst nicht vorliegen).

    Auf S. 32 der Dissertation (S. 28 im Prüfbericht) wurde anscheinend Text inkl. Fußnoten übernommen. Es sieht sogar aus, als ginge die Textübernahme weiter, als im Prüfbericht angegeben.

    Auf Diss-S. 285ff (Bericht S. 117ff) scheint Steinmeier großflächig Text inkl. Zitaten und Quellenangaben übernommen zu haben.

    • Es mag sich mit der Doktorarbeit von Herrn Steinmeier so oder anders verhalten: Aus diesem „Prüfbericht“ ist das nicht zu erkennen. Der lässt nur alles mögliche vermuten. Es mag ja auch sein, dass die Doktorarbeit von Herrn Steinmeier ganz andere, wirklich üble Klöpse enthält, die von Herrn Kamenz nicht gefunden wurden. Wer will behaupten, das zu wissen oder das ausschließen zu können?

      Was man aber wissen kann: Die Veröffentlichung dieses „Prüfberichts“ ist eine bodenlose Verantwortungslosigkeit. Er ist in dieser Form vollkommen unbrauchbar. Und die Technik und Methode, mit der hier gearbeitet wurde, ist es offensichtlich auch. Und der Projektleiter Kamenz ist offenbar vollkommen unfähig, das von seinen Rechnern ausgespuckte und von seinen zwei freien Mitarbeitern vielleicht redigierte Material noch einmal kritisch zu prüfen, bevor es das Haus verlässt. Ein für die Öffentlichkeit gedachter Bericht, der obendrein für eine dritte Person einschneidende Folgen haben könnte, kann in dieser Qualität jedenfalls den ihm einzig vorbestimmten Weg in den Schredder nur bei gründlicher Umnachtung der Verantwortlichen verfehlen.

      Zu den S. 285 ff. und ganz allgemein nur der Hinweis, dass dieser Plagiatsprüfbericht es fertigbringt, eine 4%ige oder 40%ige Einzelplagiatswahrscheinlichkeit auszurechnen, ohne die Belegtechnik des Autors zu berücksichtigen. Denn seine Fußnoten fehlen ja. Nicht immer allerdings. Bei S. 304 (S. 130 des Berichts) werden sie z.B. mitgeliefert, nur warum? Das weiß an dieser Stelle wohl kein Mensch. Das weiß die Software.

      Das Vorgehen und Auftreten von Herrn Kamenz ist in mehrfacher Hinsicht schädlich. Das Thema „Kümmern um Plagiate“ ist in der Öffentlichkeit ohnehin schon negativ belegt. Es wird mit politisch motivierten Kampagnen verbunden, als Beweis für völlig verkommene Verhältnisse in der Politik und/oder Wissenschaft genommen, und die „Plagiatsjäger“ sind Korinthenkacker, akademisch Gescheiterte mit Neidkomplexen und als Denunzianten die größten Lumpen im ganzen Land. Außerdem betreiben sie auch noch Geschäftemacherei. Und natürlich ist die ganze „Plagiatsjagd“ auch methodisch völlig unseriös. Und menschlich umso unanständiger.

      Es ist schädlich, wenn solche Meinungen durch tatsächlich methodisch völlig unseriöse, mit wirtschaftlichen Interessen verquickte Aktionen bestätigt werden.

      • Ich stimme voll und ganz zu, dass der Bericht grauenhaft ist und so auf keinen Fall online gestellt hätte werden sollen (teilweise sind sogar eindeutige Textübereinstimmungen NICHT markiert).

        Die (berechtigte) Kritik an der Kamenz-Darstellung scheint aber von manchen als Persilschein für Herrn Steinmeier gesehen zu werden (so mein Eindruck von Twitter und Online-Medien).
        Deshalb wollte ich in meinem Kommentar darauf aufmerksam machen, dass es tatsächlich einige Anhaltspunkte für Plagiate gibt.

        (Zu den wirtschaftlichen Interessen noch: diese Kritik finde ich etwas scheinheilig von den Medien. Es ist doch allgemeine Praxis, dass ein Medium Spezialisten (Labore, Wahlforscher) dafür bezahlt, etwas herauszufinden und sich dann auch eine alleinige Verwertung der Ergebnisse ausbedingt. Wieso ist das bei Plagiatsrecherchen auf einmal ein Problem?)

      • Persilschein! Das ist genau das Wort, das ich in meinem Artikel vergessen habe. Ich wollte schreiben: Kamenz stellt Steinmeier indirekt einen Persilschein aus.
        Es ist natürlich nicht wahr, dass Steinmeiers Arbeit plagiatsfrei ist, weil Kamenz versagt, Plagiate nachzuweisen. Aber so ist das mit Persilscheinen ja immer: Da ist es ja auch nicht wahr, dass die Leute, die sie gekriegt haben, keine Nazis waren.

  4. Pingback: Politiker-Plagiate: Wasserstand Anfang Oktober 2013 | Erbloggtes

  5. Es soll allerdings niemand sagen, im Kamenz-Labor würde nicht ständig nachjustiert. Noch in der Version des Prüfberichts vom 5. März 2013 lag die gemessene Plagiatswahrscheinlichkeit für die S. 11 (wir erinnern uns: Adolf Hitler) bei 99%. Inzwischen liegt sie bei 24%. Das sind natürlich Verluste, die jede große Volkspartei schmerzlich treffen würden. Im Rahmen der Weiterentwicklung wissenschaftlicher Messmethoden und -apparate sind derartige Schwankungen aber jederzeit zu tolerieren.

    Inzwischen dürfte der Fliegenschiss über dem Anführungszeichen auf S. 11 vollständig durchgetrocknet sein, so dass für einen erneuten Durchlauf ein Wert von etwa 0% prognostiziert werden kann. Oder doch jedenfalls ein Wert unter 100. Keinesfalls 100. Der Wert „100“ an dieser Stelle würde nach Meinung von Experten auf ein ernstes Problem der Versuchsanordnung hindeuten.

    Also zwischen 0 und 99. In der Summe bleibt es natürlich nach wie vor bei einer Gesamtplagiatswahrscheinlichkeit von 100%. Insofern ist die Zuverlässigkeit erwiesen.

  6. Jetzt tickt Kamenz völlig aus:
    http://www.main-netz.de/nachrichten/politik/politik/art4204,2771590

    „Aber im Moment deutet einiges darauf hin, dass es ein Plagiat sein könnte. Sicher weiß ich das aber erst in paar Wochen.“

    Kann man den Typen für solche Äußerungen (abgesehen vom Strafrecht) nicht disziplinarrechtlich zur Rechenschaft ziehen?

  7. Laut Wikipedia hat Uwe Kamenz zwei Jahre lang Informatik an der Fernuni Hagen studiert. Es ist aber kein Abschluss angegeben. Im Regelfall erwirbt man keinen sinnvollen Abschluss in den MINT-Studiengängen in dieser Zeit, auch wenn das Annettchen uns das weismachen wollte. Inwiefern ein Uwe Kamenz damit über das notwendige Rüstzeug verfügt, um die von ihm medial lautstark beworbene Software und die grundsätzlichen Grenzen derartiger Software angemessen beurteilen zu können, ist fraglich. Innerhalb von zwei Jahren lernen angehende Informatiker die ersten Grundzüge, das vollständige Studium ist wesentlich umfangreicher. Und mit BWL-Mathematik wird man lediglich schallend ausgelacht. Bei Olivetti war Kamenz in leitender Funktion tätig, nicht in fachlicher.

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