Eine Hochschule schützt die Artenvielfalt

Die Medizinische Hochschule Hannover erkennt Ursula von der Leyen den Doktorgrad nicht ab. Sie stellt in der Dissertation der Verteidigungsministerin zwar Fehler fest, und zwar „Fehler in der Form von Plagiaten“, wie MHH-Präsident Christopher Baum erklärte. [1] Doch handelt es sich nur um Fehler, nicht um Fehlverhalten.

Entscheidend war für die Entscheidung, dass all dies der damaligen Doktorandin ganz ohne Absicht unterlief. Sie wollte gar nicht täuschen. Ombudsman Thomas Werfel konnte auf der gestrigen Pressekonferenz in überzeugender Weise erläutern, was sowohl die Kommission für Gute Wissenschaftliche Praxis als auch den Senat der MHH zu dieser erfreulichen Einsicht brachte:

Die Art der Plagiate ist vielfältig. Das führte auch zur Einschätzung, dass wir keine systematische Täuschungsabsicht erkennen konnten. Es gibt […] durchaus eine Übernahme von Textpassagen, textidentisch, es gibt aber auch Plagiate in dem Sinne, dass zitiert wird, dass eine sekundäre Quelle zitiert wird, und Primärquellen nicht zitiert werden. Also es gibt schon ein paar direkte Übernahmen von Textstellen, aber es gibt viele andere Muster von Fehlzitationen. [2]

Für derzeitige und künftige Plagiatoren an der MHH, und vielleicht auch anderswo, ist diese Erläuterung von großer Bedeutung: Sobald sie ihre Plagiate nicht durchgehend nach demselben Muster stricken, wird man ihnen nichts anhaben wollen. Wenn ihre Arbeit erst einmal Plagiate vielfältiger Art aufweist, handelt es sich nur noch um Fehler in der Form, nicht mehr im Verhalten.

Ferner sollte man als Plagiator darauf achten, dass „die Form der Fehler, die hier eingetreten sind“, nicht die Aussage der Arbeit in ihrer Validität gefährdet.  [2] Solange in einer medizinischen Doktorarbeit der „Ergebnisteil“ valide bleibt, ist eine Spontanheilung von Fehlern, die in der Form von Plagiaten eingetreten sind, garantiert.

Derzeitige und künftige Kandidaten für ein Plagiatsverfahren an der MHH dürften sich auch für das Verfahren interessieren, das der Ministerin gewährt wurde. Es nahm seinen Lauf „ohne Ansehen der Person“, wird uns versichert. Auch in weiteren Hannoveraner Verdachtsfällen (derzeit im VroniplagWiki: Lgc, Bza, Cak, Acb, Wfe, Mjm …) wird also nach gleichen Kriterien entschieden werden. Und auch in diesen Fällen wird man externe Gutachter einschalten, darunter jeweils zwei „internationale Experten“, wie es im Fall von der Leyen geschah. Solche externen und internationalen Experten dürften sich auch für die Fälle Krethi und Plethi jederzeit bereitwillig zur Verfügung stellen. Vermutlich kostenlos. Denn es geschieht ja alles ohne Ansehen der Person.

Nebenher hat die Medizinische Hochschule Hannover noch deutlich gemacht, wie man das Hochschulrecht kreativ zur Anwendung bringt. Das Promotionswesen der MHH kennt ständige Promotionsausschüsse und für den Einzelfall eingerichtete Dissertationsausschüsse. Nach den hausinternen Bestimmungen haben im Promotionsausschuss nur habilitierte, im Dissertationsausschuss nur promovierte Mitglieder der Hochschule Sitz und Stimme. [3] Anders verhält es sich im Senat, der sich nach den Bestimmungen des Hochschulrechts aus den gewählten Vertretern aller Statusgruppen der Hochschule zusammensetzt. Das Gesetz bestimmt einen Proporz, der der Gruppe der Hochschullehrer eine Stimmenmehrheit sichert, aber es kennt keine Abstufung in der Mitwirkungskompetenz der Vertreter der verschiedenen Statusgruppen.

Im Fall von der Leyen hat am Ende dieser 13-köpfige Senat entschieden. Es gab sieben Stimmen für den Erhalt des Doktorgrades, eine Gegenstimme und eine Enthaltung. Vier Stimmen fehlen. MHH-Präsident Baum erklärte:

Abgestimmt haben nur die promovierten stimmberechtigten Mitglieder des Senates. [2]

Einsicht in die Unterlagen haben die nicht promovierten stimmberechtigten Mitglieder des Senats nehmen können, und an den Beratungen waren sie beteiligt. Nur eben nicht an der Abstimmung. Eine rechtliche Grundlage für ein solches Vorgehen gibt es nicht. Selbst wenn die nicht promovierten Mitglieder sich aus eigenem Antrieb von der Abstimmung ferngehalten haben sollten, entspräche ein solches Verhalten nicht der Aufgabe, die dem Senat als Gremium – und damit der Gesamtheit der gewählten Mitglieder dieses Gremiums ohne Unterschied – gesetzlich zugewiesen ist.

Zu den explizit genannten Aufgaben des Senats gehört übrigens auch die Entscheidung über den Frauenförderplan. Mit Stimmenschwund ist wohl auch hier zu rechnen.

5 Antworten zu “Eine Hochschule schützt die Artenvielfalt

  1. Jetzt ist es für uns Studenten endlich amtlich: die Kapitel Einleitung und Stand der Technik/Wissens sind überbewertet. Die MHH vereinfacht Dissertationen und auch gleich noch alle anderen wissenschaftlichen Arbeiten enorm. Es genügt ab sofort, einfach viele leere Seiten dem Kern der Arbeit voranzustellen. Diese leeren Seiten sind keineswegs eine Arbeitsverweigerung, sondern ganz hingegen ein Plagiat. Ein Plagiat einer anderen wissenschaftlichen Arbeit mit leeren Seiten, die nicht ordentlich zitiert wurde. Der Logik der MHH folgend, ist das zwar ein Fehler, aber für die Arbeit nicht wesentlich. Danke, liebe MHH! Ihr gebt mir endlich eine Perspektive für die Promotion!

  2. Wie ich erfahren habe, soll die MHH inzwischen den Ausschluss der vier nicht promovierten Senatsmitglieder von der Abstimmung unter Hinweis auf BVerfGE 35, 79 gerechtfertigt haben. Ich vermute, dass insbesondere Randnummer 176 („Zu diesen Grundsätzen mag auch das Gebot gehören, daß Prüfungsleistungen nur von Personen bewertet werden dürfen, die selbst mindestens die Qualifikation besitzen, die durch die Prüfung festgestellt werden soll.“) in diesem Zusammenhang eine Rolle spielt. Eine dem zitierten Gebot entsprechende Bestimmung ist meines Wissens auch in der geltenden Geschäftsordnung des Senats vorhanden (aber eben nicht im Niedersächsischen Hochschulgesetz).

    Meinungen hierzu?

    • Nach einhelliger Rechtsprechung handelt es sich nicht um die Bewertung von Prüfungsleistungen. Zuletzt im Leitsatz des VG Karlsruhe (7 K 3335/11) zum Fall Koch-Mehrin (4. März 2013):

      „Bei der Bewertung, ob ein Plagiat vorliegt, besteht kein prüfungsspezifischer Bewertungsspielraum; diese Beurteilung kann vielmehr durch jeden sachverständigen Dritten erfolgen (BVerwG, Beschluss vom 21.12.2006 – 6 B 102.06 -, Buchholz 316 § 48 VwVfG Nr. 116; BayVGH, Urteil vom 04.04.2006 – 7 BV 05.388 -, BayVBl. 2007, 281).“

      Der BayVGH (7 BV 05.388) anschaulicher:

      „Bei der Beurteilung, ob Fremdtexte ausreichend zitiert werden, handelt es sich nicht um eine inhaltliche Wertung, sondern um eine rein tatsächliche Untersuchung, wie viele Fremdzitate ohne ausreichende Kennzeichnung übernommen wurden.“

      Wenn die Geschäftsordnung des Senats der MHH tatsächlich eine Bestimmung enthalten sollte, die aus dem genannten „Gebot“ einen Ausschluss der nicht promovierten Senatsmitglieder von der Beschlussfassung ableitet, wäre das also problematisch, die MHH damit allerdings in guter Gesellschaft. Der Fall Guttenberg und die öffentliche Kampagne gegen das Verfahren im Fall Schavan haben zur Folge, dass mehr und mehr Fakultäten ihre Promotionsordnungen „verbessern“. So haben an der Ruhr-Universität Bochum nach dem Fall Lammert die Juristen, die Sportwissenschaftler, die Informationstechniker, die Geowissenschaftler, die Chemiker und Biochemiker neue Promotionsordnungen erlassen. Sie sehen nun ausnahmslos vor, dass der Fakultätsrat nur „mit der Mehrheit seiner promovierten Mitglieder“ oder sogar „der Dreiviertelmehrheit seiner promovierten Mitglieder“ über den Entzug des Doktorgrades entscheiden kann. Mit entsprechender Novellierung der Promotionsordnungen der restlichen Fakultäten ist zu rechnen.

  3. Könnte es darüber hinaus auch problematisch sein, dass durch diese MHH-Regelung an Hochschulen im Land Niedersachsen für die Vertreter der Statusgruppen der Studierenden und der Mitarbeiter in Technik und Verwaltung in der Praxis ein unterschiedlicher Umfang an Mitwirkungsrechten resultiert? Die Geschäftsordnungen der Senate der Universitäten Hannover und Göttingen z.B. kennen keinen Ausschluss von Nichtpromovierten bei Abstimmungen in Promotionsangelegenheiten. Ich glaube nicht, dass der Gesetzgeber so ein unterschiedliches Mitwirkungsniveau gewollt haben könnte.

  4. Pingback: Schluckimpfung ist süß, Plagiatsvorwürfe sind bitter | Erbloggtes

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